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Ausgegrenzt
Margarethe in der Putzkolonne, Faust als Looser, haltlos ohne Konzept,
Siebel als Lesbe, Mephisto als Zyniker, Inkarnation der allgegenwärtigen
Katastrophe; Valentin als brutaler Schläger: Alexander von Pfeil inszeniert
ein verstörendes Panoptikum der Ausgegrenzten, lässt seinem obsessiven
Verständnis von Realität kalkulierten Lauf, imaginiert die radikale Ausweglosigkeit
der gesellschaftlich Nicht-Integrierten - mit einem Schlussakt voll archaischer
Wucht, mit irritierender Pointe. Margarethe stirbt nicht, wird auch nicht
ins Jenseits geführt, sondern die Heilsarmee nimmt sich ihrer an - das
Leben geht weiter, aber ohne zu erwartenden Glanz.
Dieser ingeniösen Absage an mittelalterliche Mythen oder biedermeierliche
Schuldkomplexe entspricht die Szene Bernd Damovskys: das triste Ambiente
einer bankrotten Firma, wo nur noch die abschließenden Räumungsarbeiten
eine Rolle spielen.
Peter Kuhn führt das Philharmonische Orchester Bielefeld mit intensivem
Einsatz an die Grenzen der so oft als schmalzig verkannten Gounod-Komposition:
mit großen Akten in den elegischen Passagen, aber auch mit der nötigen
power in den dramatischen Elementen - das Orchester beweist in allen Instrumentengruppen
seine Fähigkeit zu außerordentlicher Souveränität.
Das sängerische Niveau bewegt sich auf höchstem Level: Luca Martins Faust
interpretiert einen ambivalenten Charakter mit allen Brüchen, Denis Combe-Chastel
präsentiert einen hemmungslos egoistischen Valentin; Cornelie Isenbürger
ist eine bedingungslos liebende Freundin Siebel, Alexander Mario-Buhrmeester
fasziniert als cooler Mephistopheles mit souveräner Stimmführung und Melanie
Kreutner fasziniert mit emotional intensivem Sopran, kristallklar, voller
Gefühl und mit einem beispiellos agilen Timbre, dazu der stimmkräftige
Hans Gripentrog als Wagner, die brillante Kaja Plessing als Marthe und
ein fulminanter Chor (Angela Sleeman) - abgesehen von anfänglichen Problemen
im Zusammenhang von Handlung, Spiel, Gesang und Musik. Eine perfektere
musikalische Umsetzung der Gounod-Oper ist kaum vorstellbar!
Das von der lokalen Politik gebeutelte Haus ist nicht voll besetzt, die
große Mehrheit feiert das großartige Ereignis - am Ende fünfzehn Minuten
Applaus für alle Beteiligten, nur wenige Buhs für das Regieteam (von Pfeil
schließt offenbar an seine Erfolge in Kiel an, lässt den verquasten "Tristan"
in Meiningen vergessen) - doch wenn man im Umfeld einer nörgelnden Band
von Provinzheinis deren Stänkereien über die Putzfrauen miterleben musste,
dann ist die Hochachtung vor dem Bielefelder Publikum nicht sonderlich
groß! (frs) |
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