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Fakten zur Aufführung 

CAPRICCIO
(Richard Strauss)
8. Februar 2009
(Premiere: 31. Januar 2009)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

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Welt-Theater

Mit dem Einführungs-Sextett agiert ein Puppenspieler in düsterer Ghetto-Atmosphäre – nichts ist mit dem französischen Rokoko-Schloss um 1775. Der Zeitbezug ist klar: 1942 ist die Welt aus den Fugen geraten, da lässt sich nicht mit interesselosem Wohlgefallen über prima la musica, dopo le parole Konversation machen.

Helen Malkowsky inszeniert ein Welt-Theater der divergierend-hermetischen Akzente: der rational nicht nachvollziehbare Strauss-Zynismus, das ästhetische Problem der Opern-Kunst, das Drama menschlicher Konflikte und unbegriffener Emotionen, der historisch totalitär-ausweglose Hintergrund werden zum unentwirrbar-verworrenen Bild einer nicht fassbaren Welt - deren Fortgang im Dunkeln liegt. Dabei nutzt die kreativ-reflektierende Regisseurin eine stimulierende Vielfalt theatraler Effekte, verliert den kritisch-problematisierenden Ansatz niemals aus dem Fokus, verstört aber nicht mit belehrender Attitüde – weckt permanent das Interesse der Zuschauer an hoch differenzierten Zusammenhängen, korrespondiert mit der verklausulierten Strauss-Musik, präsentiert keine „Schuldigen“, vermittelt vielmehr mit diskreten Verweisen (der Souffleur mit jüdischem Gebets-Schal) die gnadenlose Situation der Zeit.

Harald B. Thor baut eine düstere Bühne, beherrscht von einem Rundhorizont mit Lamellen-Jalousien, die sich partiell zu isolierten Gelassen öffnen, aber permanent quälendes Abgeschlossensein vermitteln. Stimulierend die sparsam-ausdrucksstarken Accessoires – eine angedeutete Probebühne, eine Sitzordnung wie in TV-Talkshows – als optische Reflexionen einer kritisch-deutenden Sicht auf das Werk. Korrespondierend dazu die zeittypischen Kostüme Tanja Hofmanns – kein vor-revolutionärer Glamour, aber auch keine affirmativen Elends-Monturen.

Peter Kuhn gelingt mit den individuell perfekt präparierten Bielefelder Philharmonikern das Highlight seiner Bielefelder Zeit: transparent im Instrumenten-Einsatz, sensibel in der Dynamik, zurückhaltend in der Sänger-Begleitung, aufschäumend in den Strauss-Klangwogen – dabei immer mit der hörbaren filigranen „Distanz“ zu plakativen Effekten.

Das Bielefelder Gesangs-Ensemble agiert und singt auf höchstem Niveau. In den „kleineren“ Rollen überzeugen Lassi Partanen als ungemein ausdrucksstarker Souffleur; Lutz Laible als gravitätischer Haushofmeister; Victoria Granlund und Seil Kim als italienische Opern-Stars als Callas- und Pavarotti-Karikaturen singen Arien im Lully-Stil. Susanne Reinhard gibt der exaltierten Schauspielerin Clairon typisch-konturierten Charakter. Meik Schwalm gelingt ein affektiert-wandlungsfähiger Graf. Mit Luca Martin und Alexander Marco-Buhrmester streiten zwei begnadete Sänger als Komponist und Poet um die Vorherrschaft von Musik oder Dichtung – sie vermitteln differenzierenden Parlando-Gesang mit hinreißender Intensität, kosten die verborgenen Glanzlichter der Strauss-Vorgaben nachdrücklich aus. Brian Bannatyne-Scott ist mit seiner überwältigenden Bühnen-Präsenz und flexibel ausdrucksstarkem Bass-Bariton geradezu eine Idealbesetzung des pragmatisch-selbstbewussten Theaterdirektors, lässt das ungebrochene „Ich“ des von allen dramatischen Weltläufen unbeeindruckten Strauss deutlich werden. Und dann ist da Melanie Kreuter: Eine Gräfin im schwarzen Kleid, weit entfernt von feudalem Glanz, zerrissen von unentscheidbaren Gefühlen, auf dem Weg ins ungewisse Dunkel - dabei begnadet mit einer traumhaft schwebenden Stimme, die auch im Parlando nicht an Glanz verliert und im Finale die Unfassbarkeit elementarer Seelenkräfte in großem Bogen mit schwelgender Musikalität bewegend ausdrückt – „Wie Elisabeth Schwarzkopf“ kommentierte ein hingerissener Besucher.

Das Bielefelder Theater stößt wieder einmal in die höchste Klasse des Musiktheaters vor. Das einheimische Publikum spürt das Exzeptionelle des Erlebten, geht gebannt mit, dankt mit lautloser Spannung und feiert die Protagonisten am Schluss mit intensivem, lang anhaltendem Applaus. Das wird sich hoffentlich nicht nur bei den Strauss-Connaisseurs herumsprechen, sondern auch im 1,5-Millionen-Menschen-Umfeld in Ostwestfalen! (frs)

 

 








 
Fotos: Matthias Stutte