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VON INNEN, Außenseitig
Seit dem 27. April steht neben Harry Kupfers gläserner Abschiedsinszenierung
von Benjamin Brittens "The Turn of the Screw" der berühmte "Peter Grimes",
der dem Komponisten endgültig Ruhm und England die so sehr erträumte Nationaloper
brachte, auf dem Spielplan der Komischen Oper Berlin.
Unter der Stabführung Kirill Petrenkos spielt ein durchaus expressiv aufgelegtes,
mitunter so wühlendes wie aufwühlendes Orchester diese eigenartige, sperrige
Mär eines Außenseiters, der ebenso gern "dazu"gehörte wie ihn ein solches
Dazugehören wiederum ekelt.
Tatsächlich gestaltet der verstört wirkende, dabei ebenso leidenschaftlich
sprunghafte wie elegische Douglas Nasrawi, der seine falsettierten Leidensklänge
geradezu sichtbar aus dem Bauch heraufzieht, die volle und verzweifelte
Ambivalenz dieses hochmodernen Opern-Protagonisten ausgesprochen beklemmend.
Mitleidsvoll, aber nicht minder verwirrt steht ihm der kräftige Sopran
Giselle Allens zur Seite. Überhaupt zeichnet sich das Ensemble durch sängerische
Präsenz aus, ob nun Nanco de Vries' Balstrode, Metteo de Montis mit zynischer
Diebsfreude ausgespielter Swallow, ob Carsten Sabrowskis sehr räumlich
klingender Hobson.
Die Inszenierung ist nahezu "Frauensache", aber das bemerkt man(n) nur
selten anhand ohnedies leicht zu übersehender Ideologien, - etwa wenn
permanent irgend welche Typen an kleinen Mädchen herumfummeln (wollen).
Im übrigen hat Katja Czellnik das eigentlich tragische Geschehen um den
groben Grimes von allem Naturalismus freigepustet, es gibt weder gischtende
Meereskulissen noch hübsche, farbige Bootchen. Das Meer ist in uns.
Entsprechend gibt sich der von Vera Bonsen gestaltete Raum nahezu geschlossen;
er ist ein symbolisches Herzgefängnis für alle, und alle ergehen sich
in repetitiven Bewegungsmustern, putzen sich ständig die Schuhe ab (der
gesamte, enorm riesig wirkende Bühnenraum ist mit Fußmatten ausgeschlagen;
ein Bild, das auch jenseits seiner Symbolik enorme Kraft hat), zappen
ins Publikum und lenken sich auf jede nur denkbare Weise von ihrem Unglück
ab, auf das sie Peter Grimes teils mutwillig, teils jedoch allein durch
seine Gegenwart immer wieder stößt.
Dass die von mir besuchte (zweite) Vorstellung kaum besucht war, mag also
nicht nur an dem zu dieser Zeit wundervollen Wetter, sondern vor allem
daran gelegen haben, daß man im Zeitalter des Pops nicht mehr gar so gerne
unangenehme Wahrheiten über (gesellschaftliche) Gruppen akzeptiert. Doch
wer sich dem stellt und überdies gemessen an seinen Erwartungen flexibel
ist, wird mit großen Opernmomenten entlohnt. Hier gebührt dem Chor nicht
ein Lob, sondern eine - Verbeugung. (anh) |
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