Alles Maschinen
„Musical“ als Mixtur aus Tanz, Comedy, Boulevard, Cabaret. Die Neuköllner Oper wildert im „Leichten“ – und geht mit den Inhalten genauso frivol um wie mit den Formen: unerfüllte Kinderwünsche, Kinderkauf, spießiges Bürgertum, Computer-Fetischismus, Rotlichtmilieu, Erotik-Show. Da bleibt das konzentriert-ernsthafte Problematisieren auf der Strecke, und es herrscht ein wirres Durcheinander aus wichtigen Ansätzen und Spaß an der Freud - harmlos und belanglos.
Dem so kreativen Peter Lund ist der Text aus den Fugen geraten, und dem erfahrenen Komponisten Thomas Zaufke gelingen einige wenige Songs im adaptierten Webber-approach, ansonsten viel Leerlauf ohne musikalische Originalität.
Die Band unter Hans-Peter Kirchberg spielt flott auf, vermag aber aus den Vorgaben keine Funken zu schlagen – und vermittelt gepflegte Bar-Atmosphäre.
Daria Kornyshevas kommunikative Bühne wird bestimmt von einem schräggestellten schwarzen Tresen, der als Bar, Pissoir, cat-walk und Versteck für eine klappbare Couch dient. Viel Raum für Choreographie.
Neva Howard choreographiert ideenreich in bester Musical-Tradition, lässt wirbeln und Bein zeigen, setzt Musik in Bewegung – und gibt den Darstellern Chancen für attraktive Performance.
Andreas Röder gibt den künstlichen Pino als stoische Computer-Simulation; Juliane Dreyer als verklemmte Power-Frau und Sebastian Smulders als autistischer Programmierer sind das hilflos reagierende Ehepaar; Camilla Kallfaß, Francisco del Solar, Lars Redlich und Karolina Kubiak spielen die Abhängigkeiten im Zuhältermilieu authentisch-karikierend; Jeanette Claßen vertritt die Kunst-Kinder-Agentur mit computersicherer Überzeugungskraft - alle sind „Maschinen“ in ihrem jeweiligen Umwelten, agieren lustvoll, bewegen sich expressiv-locker und artikulieren in beeindruckendem Musical-Sound!
Das Publikum: jung und alt, naiv und aufgeklärt, routiniert und neugierig, indifferent und engagiert – folgt geduldig, freut sich über die prima Show-Einlagen und nimmt die seltenen Gelegenheiten zur pointierten Auseinandersetzung spontan wahr. Das Kiez-Theater bleibt die Neuköllner Oper mit solchen Stücken allerdings nicht.
Im übrigen: Interessierte konnten anschließend Zuhause bei Polylux im TV zum vorgegebenen Thema weiter gucken: die Silikon-Puppe als perfekte Freundin! Da - horribile dictu – überholt das Fernsehen das Theater. (frs)
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