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Fakten zur Aufführung 

HARLEKINTRIADE
(Igor Strawinsky/Giacomo Puccini)
28. April 2008 (Premiere)

Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin


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Höllenfahrten

Es ist eine Zeitreise vom 16. zurück ins 13. mit dem Sprung ins 20. Jahrhundert - und es geht um Blicke in die „Hölle“. Gesualdos Verbrechen und böse Ahnungen über die Konsequenzen mit den Monteverdi nachempfundenen musikalischen Passagen von Igor Strawinsky verbinden sich mit Texten aus Dantes Divina Commedia und musikalischen Phantasien auf der Hammond-Orgel und finden ihr Finale mit Puccinis Gianni Schicchi – immerhin auch ein Dante-Entwurf, mit Giannis Blick in die Hölle.

Sechshundert Jahre Verbrechen, Vorstellungen von Höllenqualen, egoistische List: Das ambitionierte „Opernprojekt 2008“ der Berliner Musikhochschule wird zur reflektierten Demonstration avancierten Musiktheaters!

Stewart Emerson dirigiert das Hochschulorchester mit viel Einfühlungsvermögen, vermag vor allem die Puccini-Musik sowohl in der Gesamtarchitektur als auch in den einzelnen Phasen der variantenreichen Handlung zu immer neuen Höhepunkten zu führen; das Orchester brilliert mit wechselnden Tempi, einer geradezu formidablen Dynamik und mit sensibler Übereinstimmung mit den Sängerdarstellern.

Nino Sandows Regie setzt auf Wechsel von Statik und Bewegung, schafft beziehungsvolle Konstellationen, orientiert sich an den imaginierenden Vorgaben der Musik – und gibt den jungen Sängerdarstellern permanent Gelegenheit zur Demonstration ihrer virtuosen Fähigkeiten.

Marian Kalus deklamiert die komplex-reflektierenden Gesualdo-Texte mit viel Emphase, vermittelt elementare Leidenschaften, beherrscht emotionalisierende stimmliche Variationen, verzichtet aber bisweilen auf die präzise Deutlichkeit der Artikulation. Tamara Heimbrock, Bele Kumberger und Eva-Maria Weiß präsentieren kalkuliert-zynische „Weird Sisters“ mit großer Lust am Pandämonischen, spielen im Zusammenspiel mit dem „komischen“ Jakob Ahles an der „Orgel“ ein pop-artifizielles „Höllen-Spiel“. Anna Hofmann gibt dem gerupften Engel am Eingang zur Hölle („...lasst alle Hoffnung fahren“) gebrochene Statur, vermag stimmlich Irritationen zu vermitteln.

Eung Kwang Lee ist ein Gianni Schicchi mit fundamentalem Rollenverständnis, darstellerisch hoch variabel - mit einem begnadeten Bariton, dem neben vokalen Ausbrüchen, deklamatorischen Passagen, einer karikierenden Kopfstimme und einem faszinierenden Timbre eine Fülle von Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung steht. Ivi Anne Karnezi singt die Arie der Lauretta hinreißend emotional, und das gesamte 14-köpfige Ensemble der jungen avancierten Studierenden der Hanns Eisler-Musikhochschule ist permanent auf dem Qui-Vive, demonstriert grandiose Spielfreude und bewundernswerte stimmliche Kompetenz.

Dies alles an musikalischer, sängerischer, inszenatorischer Bedeutung spielt sich ab in dem minimalistisch-pointierten Bühnenbild von Thomas Martius: sparsam verwendete Vorhänge, eine Bank, im Hintergrund eine transparente Tür - und Fensterfront im kalkulierten Licht von Jens Krüger - und in adäquat-stimulierenden Kostümen von Sabine von Oettingen sowie eingespielten kommentierenden Video-Projektionen der mobrik-Gruppe nach Karawahn-Vorgaben.

Im kundigen Publikum verbreitet sich intensive Aufmerksamkeit, und am Ende gibt’s enthusiastischen Applaus. Doch die kommunikative Mikrostruktur irritiert – da wird sich flüsternd kommentierend ausgetauscht, da geht schon mal jemand ungeniert aus dem Saal, da wird das störende Jackett umständlich abgestreift - das angemessene Rezipieren von Musiktheater steht offenbar nicht auf dem Lehrplan der Musikhochschulen. Man sollte sich - gerade in Berlin – an entsprechende Bemühungen von Bisky und Dressler erinnern! (frs)