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Menschenleid
Miriam Gaucis Sopran entwickelt sich immer mehr zum Dramatischen - ihre
Mimi hat vor allem in den berührenden piani todtraurige Dimension; der
junge Tito Beltran phrasiert brillant im klassisch-italienischen Stil,
Tom Erik Lies Schaunard, Roberto de Candias Marcello und Arutjun Kotchinians
Colline demonstrieren kraftvoll-emotionale Vermittlung innerer Kräfte,
Fionnuala McCarthys Musetta ist solistisch-virtuos, die Nebenrollen (Benoit,
Parpignol, Alcindoro) sind ungemein schwach besetzt.
Die Inszenierung Götz Friedrichs von 1988 lebt vom leidenschaftlichen Interesse
am Schicksal der leidenden Personen, die aktuelle Aufführung braucht allerdings
ihre Zeit, um diese Intention zu vermitteln.
Das merkwürdig gemischte Publikum - Touris, Kindergeburtstags-Spender,
Routiniers, Neugierige, emotional Erwartungsvolle - gerät erst gegen Ende
in die kommunikative Spannung, die dem Drama gerecht wird (zumal bis weit
in den ersten Akt Zuspätkommende hemmungslos ihre Plätze suchen).
Peter Sykoras naturalistisch vollgestellte Bühne - Dachkammer, Weihnachtsmarkt,
Zollstelle - mag dazu beitragen: Wer vermag schon in einem dezidiert detailorientierten
Dokumentarspiel elementare Gefühle zu entdecken?
Doch Jun Märkl fasziniert mit dem ungewöhnlich spielfreudigen Orchester
der Deutschen Oper Berlin - nichts von sentimentalem Kitsch, aber alles
für die oft unterdrückten eruptiven Potenzen in Puccinis Musik, so gelingt
die lange Zeit routinelastige Performance immer mehr zu einem ergreifenden
Drama zwischenmenschlicher Verzweiflung.
Franz R. Stuke
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