Unvergänglich gültig
Götz Friedrichs Inszenierung von 1988 ist ein unsterbliches Dokument der Liebe eines begnadeten Musik-Theater-Machers zu seinen „Figuren“! Vor allem in der Massenszene des zweiten Akts wird das ergreifend deutlich: Da gibt es keinen Statisten, der nicht seine ganz eigene Aufgabe hätte, keinen bloß marschierenden Gardisten, kein wild umher rennendes Kind, keine stupid rumsitzenden Momus-Gäste, kein beliebig wuselndes „Volk“ auf der Monumental-Treppe! Zumal in der ergreifenden Schlussszene nach Mimis Tod ist Rodolfos Aufschrei mehr als ein theatraler Effekt – die sublime Umarmung von Musetta und Marcello zeigt intensivstes Mit-Leiden und zugleich die verzweifelte menschliche Hoffnung auf liebendes Verstehen nach der erlebten Katastrophe.
Die Deutsche Oper Berlin hat sich selbst mit dieser Aufführung den größten Gefallen getan: dokumentiert sie doch ihre eigenen bedeutungsvollen Lebenslinien!
Peter Sykoras realistisch atmosphärisch dichte Bühne wirkt – natürlich – wie aus einer anderen Zeit: doch in ihrer konsequenten Umsetzung entwickelt sie einen bezwingenden Sog in ein ungemein dichtes Milieu!
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin präsentiert sich in beglückender Spielfreude, Evan Rogister leitet das Musiker-Kollektiv zu hoch differenziertem Ausdruck, Puccinis Intentionen werden mit ihrer ergreifend-existentiellen Emotionalität zum musikalischen Erlebnis!
Markus Brück überzeugt als emotionaler Marcello mit seinem ausdrucksstarken Bariton; Nathan De’Shon Myers gibt dem Schaunard flexible stimmliche Statur; Arutjun Kotchinian verleiht dem Colline balsamisch strömenden Bass; Fionnuala McCarthy ist mit ihrer permanenten Präsenz und ihrem variationsreichem Mezzo eine unwiderstehliche Musetta; mit Stefano Secco als Rodolfo und Nuccia Focile als Mimi sind neue Stimmen zu hören – klangschön, sich im Ablauf des Abends in emotional steigernd, sich den so hoch differenzierten Charakteren stimmlich nähernd, sängerisch kultiviert im Ausdruck, darstellerisch um Integration in die so dichten Beziehungen bemüht.
Im Auditorium versammelt sich mehrheitlich ein Touri-Publikum – mit allen Unarten der „Opern-Novizen“: da kommen einige zu spät, da tauscht man wispernd Eindrücke aus, da klingelt ein Handy, da wird schon mal fotografiert - aber dies alles ohne provozierende Attitüde, dafür mit offenkundigem Respekt für Werk, Bühne, Musik und Gesang. Die Habitualisierung situationsbedingten Verhaltens ist offenbar bei dem neuen Opern-Publikum noch in voller Entwicklung.
Franz R. Stuke
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