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Homo Hominis Lupus
Patrice Chereaus Konzept ist brutal-eindeutig: Im KZ, im Gulag, in Guantanamo werden Menschen zu Bestien. Diese immer wieder bestätigte erschütternde Botschaft über das Verhalten von Menschen in brutalen Zwangs-Situationen ist kaum in „Theaterhandeln“ zu übersetzen. Mit einem grandiosen Sänger-Ensemble, einer auf Körper-Einsatz eingestellten Schauspieler-Gruppe und einem leidenschaftlich mit-agierenden Arnold-Schönberg-Chor gelingt das jedoch in beklemmender Weise. Die unterschiedlichen Individuen, die verfeindeten Gruppen – Gefangene, Kapos, Wärter – erleben die verschiedenen Ereignisse der Gefangenschaft. Auch Momente der Entlastung schlagen um in Gewalt.
Richard Peduzzi baut brutale Betonwände: Ausweglosigkeit und Ausgeliefert-Sein an unangreifbare Mächte.
Diese beklemmenden Situationen finden ihre Steigerung durch Janaceks emotional aufwühlende Musik. Pierre Boulez schöpft mit dem großartigen Mahler Chamber Orchestra diese musikalischen Dokumente des Mitleidens, Mithoffens und Zerbrechens mit überwältigender Kraft aus. Musik wird zur Anklage gegen Unmenschlichkeit – mit kalkulierter Dynamik, mit Wechseln von warmen Tönen und dramatischen Akzenten, mit geradezu unerträglichen Brüchen.
Mehr als zwanzig Rollen sind zu besetzen. Eigentlich ungerecht, z.B. Erik Stokloßa als Aleja, Stefan Margita als Kuzmitsch, Olaf Bär als Gorjantschikov, Peter Straka und Vladimir Chmelo als großer und kleiner Gefangener besonders hervorzuheben - das gesamte Ensemble leistet Großes, wenn nicht Einmaliges. Dazu der intensiv artikulierende Arnold Schönberg Chor – unerreicht in differenziertem Ausdruck!
Das Publikum der Eröffnungs-Veranstaltung des Holland Festivals im weiten Rund des Amsterdamer Muziektheaters ist phasenweise wie betäubt von den tieferschütternden Eindrücken, braucht einige Zeit, um der Bewunderung für Spiel, Bühne, Gesang und Musik angemessenen Ausdruck zu verleihen. Die opernhistorische Großtat im Zusammenwirken von Boulez-Chereau-Peduzzi als Koproduktion von Holland Festival, Wiener Festwochen, Festival Aix, Met und Scala wird unauslöschliche Spuren hinterlassen. (frs)
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