Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DIDO UND AENEAS
(Henry Purcell)
4. Oktober 2009
(Premiere 29. September 2009)

Stadsschouwburg Amsterdam
De Nederlandse Opera


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Furor der Gefühle

Kleine Mädchen spielen auf der Bühne, mächtige Segel werden gerefft, geben den Blick frei auf eine Palast-Fassade, davor ein Vorhang aus dicht herabhängenden glitzernden Schnüren: Chloe Obolensky schafft ein spannungsgeladenes Szenario, provoziert Assoziationen, bietet zugleich den Raum für intensiv kommunikatives Bühnenhandeln – und vermittelt mit kindlichen Schul-Uniformen, barocken Kostümen der Hauptfiguren und Alltags-Klamotten des Chors den Zusammenhang verschiedener Epochen - ein perfekter „Theater-Coup“!
Deborah Warner inszeniert eine Abfolge von Stadien höchster emotionaler Befindlichkeiten: Didos Zweifel und aufkeimende Liebe, die Pastorale des Zusammenseins vor der Stadt, das „Rüpelspiel“ der Zauberin und ihrer Hexen, die bedrängende Vulgarität der aufbruchbereiten Trojaner, den ambivalenten Abschied Didos von Aeneas, ihren selbstgewollten Tod als höchstmögliche Empfindung – per aspera ad astra und zurück ins Geheimnis des „Liebestods“. Dabei faszinieren die ungemein dichte Personenführung, die zauberhaft-unbefangenen Einbrüche der beobachtenden Kinderschar in intimste Bereiche mit nachfolgender verstörter Flucht ob des Tabu-Bruchs, die subtil angedeutete Teilhabe des Chors an der Handlung im Wechsel von konkreter Reaktion zu kommentierender Distanz.
Les Arts Florrisants verfügen als Chor über eine stupende Spielfreude und eine Variationsbreite des Gesangs, die geradezu sprachlos macht und feinste Nuancen kollektiven Empfindens auszudrücken vermag. Als Orchester machen die Musiker unter William Christies Leitung eine Purcell-Musik hörbar, die vor Emotionalität nachgerade sprüht – da wechseln die Tempi, da funktioniert die Dynamik, da spielt jedes Instrument eine Solo-Rolle im intensiven Gesamt-Klang, da garantiert das Continuo den magischen Zusammenhang von Musik, Gesang und Bühnen-Geschehen - bewundernswert!
Malena Ernman gibt der Dido psychische Ambivalenz, vermag ihre variable Stimme in Zweifel, Liebe, Leidenschaft, Wut und Entsagung mit-fühlend einzusetzen, nimmt durch überzeugende Phrasierungskunst das Publikum mit auf den Weg der unsicheren Gefühle! Luca Pisaroni ist als Aeneas ein durchaus Zweifelnder, nicht der hemmungslose Eroberer, vermag stimmlich entsprechend Akzente zu setzen, überzeugt durch charakterisierendes Spiel und stimmliche Flexibilität. Judith van Wanroijs Belinda ist die mahnend-stimulierende Gefährtin, bleibt aber – bei aller stimmlicher Souveränität – zu „brav“ und wird nicht zur eigenständig handelnden Figur. Da jedoch überziehen Hilary Summers als bösartige Zauberin und Celine Ricci und Ana Quintans als Hexen die Darstellungen als aggressiv-lustvolle Störenfriede im tragischen Geschehen den Bogen: es ist eben ein schmaler Grat zwischen antiker Wucht und skurriler Parodie – und stimmlich ist das nachgerade selbstverleugnend mit extremen Lagen-Wechseln und überspitzten Höhen und röhrenden Tiefen.
Die Produktion der Wiener Festwochen von 2006 wird in der opulent-architektonischen Amsterdamer Stadsschouwburg mit außerordentlichem Erfolg wieder aufgenommen. Ein internationales Publikum folgt der genialen Aufführung in der Sonntag-Nachmittags-Aufführung mit gespannter Aufmerksamkeit, assoziiert zur vielschichtigen Inszenierung eigene Vorstellungen – ist aber vor allem hingerissen von der so kraftvollen variationsreichen ausdrucksstarken Musik Purcells!

Franz R. Stuke

P.S.: Das österreichische Fernsehen hat 2006 sicherlich mitgeschnitten – wie wäre es mit einer neuen „Aufzeichnung“ der Amsterdamer Version und mit einer Übernahme bei ARTE?