Transzendenz und Pathos
Sechzehn Jahre nach dem Tod des flämischen Komponisten Karel Goeyvaerts bringen die Vlaamse Opera und das Holland Festival sein rätselhaftes Werk auf die Bühne. Halb Oratorium, halb statisches Musiktheater geht es in der „szenischen Kantate“ ohne eigentliche Erzählung um „die Gesellschaft als solche“ – mit ihren Widersprüchen, ihren Gefährdungen, ihrer letztendlichen Hoffnung auf Transzendenz – basierend auf der Offenbarung des Johannes mit dem Trost des Neuen Jerusalem. Acht Soprane und acht Baritone artikulieren in wechselnden Konstellationen zunächst scheinbar sinnlose Wort-Elaborate, wechseln zu verweisenden philosophischen und aktualisierenden Texten über Menschheitsfragen, um dann beim Schluss des Buchs mit den sieben Siegeln und dem Finale mit der hoffnungsvollen Prophezeiung zu enden.
Die Goeyvaerts-Komposition nimmt seine Entwicklung vom Vertreter serieller Musik über schöpferische Auseinandersetzungen mit dem Minimalismus bis zu seinem experimentellen Umgang mit spätromantischen Prinzipien und „tonaler Modernität“ auf. Das Radio Filharmonisch Orkest wird mit diesem so widersprüchlichen Konstrukt hervorragend fertig; Alejo Perez hat Musik und Gesang permanent unter Kontrolle, akzentuiert die rhythmische Dominanz, die überwältigende Dynamik, schafft eindrucksvolle Kommunikation zwischen Instrumenten-Soli und Chor-Passagen - vermittelt offenbar die komplexen Intentionen des rätselhaften Komponisten!
Der Nederlands Kamerkoor beeindruckt in der ungewöhnlichen Kombination mit vorzüglichen Solostimmen und geradezu berauschendem Gesamt-Klang voller imaginativer Kraft und differenzierenden Phrasierungen: Pathos wird glaubhaft!
Pierre Audi – Chef des Holland Festivals und der Niederländischen Oper – verzichtet mit seiner Vorliebe für eher statische Tableaus auf eine „interpretierende“ Szene, reduziert die Aktionen auf kollektive Platzwechsel, realisiert so wohl die „kommunikativen“ Intentionen Goeyvaerts’.
Weshalb dann mit Warre Borgmans ein nachgerade nervend belehrender „Kommentator“ auftreten muss, bleibt unerklärlich – da wären schmerzlich vermisste Übertitel die erheblich bessere Lösung gewesen!
Christof Hetzer stellt sechzehn „Hochsitze“ für die Sänger auf die Bühne – statisch, aber im Wechsel gut zum Auf- und Absteigen, und um sich um die Gestelle zu versammeln. Schwarz-weiß flackernde abstrakte Videos auf der Bühnen-Hinterwand verstärken den kommunikativ-diffusen Eindruck.
Das Publikum braucht einige Zeit, um die üblichen Standing Ovations zu praktizieren, applaudiert dann jedoch intensiv und außerordentlich lang anhaltend. Vielleicht gelingt mit einer späteren Inszenierung des sperrigen Werks ohne Berücksichtigung der biographischen Goeyvaerts-Imponderabilien der Durchbruch dieses Solitärs! (frs)
|