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Sphärisch und doch menschlich
Svadba steht im serbischen für Hochzeit. Aus Serbien stammt die Komponistin Ana Sokolovic, die heute in Kanada lebt. In der Handlung geht es um sechs Freundinnen, die die letzte Nacht vor der Hochzeit gemeinsam verbringen. Es ist nicht nur Freude angesagt, sondern auch der Zeitpunkt, Abschied zu nehmen, Abschied von der unbeschwerten Jugend und Freundschaft. Viele Preise hat Ana Sokolovic schon gewonnen. Ursprünglich im klassischen Ballett ausgebildet, hat sie noch in ihrer Heimat mit der Komposition begonnen. In ihrer neuen Heimat Kanada werden ihre Werke häufig aufgeführt, so auch dieses Werk, das im Auftrag des Queen of Puddings Theatre in Toronto 2012 komponiert und uraufgeführt wurde. In Europa fehlt noch der Durchbruch, und dieses Werk erlebt in dieser Fassung des Festival d'Aix hier seine szenische Erstaufführung.
In der Umsetzung ihres Auftrages wollte die Komponistin ein Werk schaffen, das in engem Zusammenhang mit ihrer Heimat steht, in Serbisch und einen typischen Brauch widerspiegelt, die Nacht vor der Hochzeit. In den sieben Gesängen des Werkes treffen sich die sechs Freundinnen, färben sich die Haare, eifern um die Hand der Braut, nehmen das Bad, kleiden sich an und nehmen nostalgisch symbolhaft voneinander Abschied. Die musikalische Umsetzung erfolgt in Form einer Kammeroper ohne Orchester. Wir erleben polyphonen A-Capella-Gesang mit geringer rhythmischer Begleitung durch verschiedene Gegenstände, die von den Sängerinnen eingesetzt werden. Die musikalische Urform des gregorianischen Chorals ist spürbar und erzeugt auch in dieser Handlung feierlichen Charakter. Dabei überlagern sich die Stimmen, treten in melodische Zwietracht, ohne die Harmonie zu verlieren. Es werden auch folkloristische Elemente des Balkans eingebaut. Geführt werden die Sängerinnen von der irischen Dirigentin Dairine Ni Mheadhra, einer Spezialistin für zeitgenössische Musik und Inhaberin des Queen of Puddings Music Theatre. Die szenische Umsetzung erfolgt durch Ted Huffman und Zack Winokur. Die Bühne des kleinen klassizistischen Opernhauses Jeu de Paume in Aix bleibt leer. Es wird ausschließlich mit Licht und Choreographie gearbeitet. Im Takt mit der Musik bewegen sich die Sängerinnen in tänzerischer Leichtigkeit, drücken Emotionen oder Handlungen durch ihre Körperbewegungen aus. In der Intimität der Handlung und des Theaters entsteht ein Gefühl der Gemeinsamkeit, der Zuschauer fühlt sich schnell einbezogen und nicht nur als externer Betrachter. Gerne würde man die einstündige Aufführung verlängern und dem Spiel weiter folgen.
Das Festival von Aix-en-Provence widmet sich seit Jahren der Entdeckung zeitgenössischer Musik und deren Studium in verschiedenen Veranstaltungen. Neben klassischen Opernaufführungen werden im Programm vermehrt auch moderne Werke aufgeführt. Eine bemerkenswerte Aktivität, die auch vom Publikum sehr aufgeschlossen angenommen wird, wie der Applaus und die Nachfrage zeigen.
Helmut Pitsch
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