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Dirigentinnen auf dem Vormarsch


 
 

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Mit dem ganzen Körper zur Musik führen

Sie managt den Umzug und führt das Orchester. Anna Skryleva ist auf ihrem Entwicklungsweg in Darmstadt angekommen. Dort findet sie einerseits sehr schöne Orte, aber auch eine spannende Aufgabe. Am kommenden Wochenende wird die Erste Kapellmeisterin die Premiere von Verdis Otello dirigieren.

Wenn man sich die Besetzungsliste von Verdis Otello ansieht, dann erkennt man auf dem ersten Blick, dass in Verdis vorletzter Oper die Männer dominieren. Auch wenn der intrigante Jago über die weibliche Hauptrolle Desdemona sagt, sie sei „il Duce del nostro Duce“ – also „die Führerin unseres Anführers“, ist sie machtlos gegenüber der Intrige Jagos. Es ist bekannt, wie die Geschichte endet. Das Publikum in Darmstadt wird sie live ab Mitte März erleben können. Die musikalische Führerin des Abends ist die Erste Kapellmeisterin des Hauses, Anna Skryleva. Seit der aktuellen Saison ist Skryleva in dieser Position in Darmstadt. Die russische Dirigentin behauptet sich mehr und mehr in einer Männerdomäne und betrachtet die Entwicklungen auf diesem Gebiet sehr entspannt. „Meine Ansicht ist, dass die Gesellschaft halt noch nicht zu hundert Prozent bereit dafür ist, von einer Frau geführt zu werden. In Deutschland sind wir schon sehr weit. Wir haben eine Kanzlerin und eine Verteidigungsministerin. In Russland sind in den führenden Positionen nur Männer. Es gibt ein paar gute Politikerinnen, aber die haben, glaube ich, nie die Möglichkeit, Präsidentin zu werden. Dirigentinnen gab es zu meiner Zeit in Moskau nur eine, und das war eine Exotin. Ich denke, dass die Gesellschaft dafür noch Zeit braucht. Nicht, weil die Frauen schwach sind. Es ist einfach eine Entwicklung.“

Auch Skryleva muss sich erst zur Dirigentin entwickeln. Anfangs gehört ihre musikalische Aufmerksamkeit dem Klavier. Die Tochter eines Eiskunstläufers und einer Turnerin erhält mit fünf Jahren ihren ersten Klavierunterricht und besucht als Zehnjährige eine Kompositionsklasse am Tschaikowsky-Konservatorium. Später kommt sie an die Universität der Künste in Berlin. „Dort war ich fast jeden Abend in der Philharmonie, im Konzerthaus, in der Oper und habe die besten Orchester der Welt gehört, die besten Dirigenten, die besten Musiker und Sänger.“ Durch diese Erfahrungen setzt eine musikalisch-geistige Veränderung ein. „Es war mir nicht mehr genug, die Musik nur mit dem Klavierklang zu produzieren. Da wurde mir klar, dass ich den Weg der Konzertpianistin gar nicht gehen möchte. Und wenn man erst mal versteht, was man nicht will, dann zeigt einem das Schicksal einen anderen Weg – und das war dann eben Dirigieren.“ Gleich ihre erste berufliche Station führt sie auf den richtigen Weg. Sie bewirbt sich als musikalische Assistentin beim Opernstudio der Hochschule für Musik in Karlsruhe. Die musikalische Leiterin und Dirigentin Alicja Mounk wollte sie sofort engagieren – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass Anna Skryleva Dirigieren lernt. So nehmen die Dinge ihren Lauf.

Hamburg als Station der Reife

Zum Dirigieren gehört nicht nur die Technik, wie man einen Takt schlägt. Sondern eben auch das Wissen, wie man die Musiker führt. Das lernt Skryleva bei einer der bekanntesten Chefdirigentinnen Deutschlands: Simone Young, Generalmusikdirektorin der Staatsoper Hamburg. „Ich habe Simone Young in allen Facetten kennengelernt. Sie ist eine sehr interessante Musikerin, eine wunderbare Dirigentin und dazu noch eine ganz starke Persönlichkeit.“ Dieses Bild kann sich Skryleva während ihrer Anstellung als Solorepetitorin fünf Jahre lang in Hamburg machen. Diese Zeit ist für sie auch sehr intensiv, weil sie Gelegenheit bekommt, mit berühmten Sängern wie Klaus Florian Vogt und Anja Harteros zu arbeiten. Während sie Simone Young über die Schulter schaut, verändert sich auch ihre Haltung zum Dirigieren. „Ich habe gelernt, Musik mit meinem Körper auszudrücken. Denn Musik ist nicht nur einfach ein System, Musik ist Klang. Es wichtig, als Dirigent oder Dirigentin den Musikern deine Klangvorstellungen zu übermitteln. In den Proben kannst du die eine oder andere Stelle erklären, was du dir da vorstellst. Aber letztendlich am Abend musst du mit deinem Körper alle anderen überzeugen, dass sie das machen, was du dir vorstellst.“

Hoch gesteckte Ziele

Diese Einstellung wird nicht nur für die kommende Premiere in Darmstadt hilfreich. Der Otello ist für sie eine besondere Herausforderung, weil das Orchester in einem starken Dialog mit der Bühne steht. Dazu ist Anna Skryleva bekennender Wagner- und Richard-Strauss-Fan und hofft auf die Gelegenheit, einmal den Ring, Parsifal oder Tristan in einer eigenen Einstudierung präsentieren zu können. Wagner hat sie für sich in Deutschland entdeckt, was für sie auch sehr viel mit der Sprache zu tun hat. „Als ich nach Deutschland kam, war mir sofort bewusst, dass ich die Sprache lernen möchte. Weil sich dann erst die Welt hier für mich wirklich öffnen würde.“ In der Tat: Mittlerweile hat Skryleva so einige deutsche Städte beruflich kennen gelernt. So war sie unter anderem als Repetitorin und Assistentin an der Kölner Oper tätig, wo sie mit Jeffrey Tate und Markus Stenz zusammen arbeitete. Bevor es sie jetzt nach Hessen zog, war Anna Skryleva für eine Spielzeit Erste Kapellmeisterin und stellvertretende Generalmusikdirektorin am Landestheater Schleswig-Holstein. Ein Salome-Dirigat im Juni vergangenen Jahres öffnete ihr die Tür zum Staatstheater nach Darmstadt. Dort lebt sie nun mit ihrem Mann, dem Bass Dieter Schweigart, und ihrer gemeinsamen Tochter. Schon jetzt fühlt sich die Familie in ihrer neuen Umgebung sehr wohl, erkundet die Gegend bis in den Schwarzwald hinein. Die schönste Entdeckung hat sie aber in Darmstadt gemacht. „Hier gibt es eine russisch-orthodoxe Kapelle auf der wunderbaren Mathildenhöhe. Das war für mich eine Offenbarung, weil ich damit überhaupt nicht gerechnet habe.“ Doch auch die Option zum Weiterziehen schwebt immer über der kleinen Familie. „Wenn man sich verbessern will, dann muss man halt an ein anderes Theater gehen. Ich finde das aber auch sehr spannend. So lernt man neue Mentalitäten kennen, andere Sprachen, neue Menschen. Im Moment werde ich davon nicht müde und mit dem Umziehen habe ich schon so viel Erfahrung. Da habe ich ein festes System, und das funktioniert jetzt.“ Doch bis dieses System wieder gebraucht wird, kann Anna Skryleva in Darmstadt ihre Führungsqualitäten weiter auszubauen.

Christoph Broermann, 10.3.2014

 


Eisgraue Augen, blonde Mähne und
ein ganz warmes Herz - Dirigentin
Anna Skryleva fasziniert als Frau.


Und sie begeistert als Dirigentin.


In Moskau geboren und aufgewachsen,
hat sie in Deutschland längst ihre
Heimat gefunden.


Mit ihrer Tochter war sie schon
Schlittschuhlaufen, die Bergstraße
wartet auf ihre Entdeckung - Skryleva
ist in Darmstadt angekommen.


Als femme fatale mag sie sich auf
Fotos darstellen. Im wahren Leben
ist sie Arbeitstier, Mutter, Ehefrau
und ganz wunderbar weltoffen.

Fotos: privat