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DVD-Besprechung

Falstaff

4.4.2013


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera
Ton

Chat-Faktor


Cover





 

 

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Die Kunst des Ruggero Raimondi

Neben der weitestgehend vergessenen Oper Un giorno di regno ist der Falstaff die einzige Oper Giuseppe Verdis mit einer wirklich komischen Handlung. Nach Shakespeares Vorlage wird der dicke Ritter John Falstaff, der versucht, gleichzeitig um zwei verheiratete Frauen zu werben, von den Damen grausam in die Falle gelockt. Mittlerweile legendär dürfte die Bestrafung sein, dass sie Falstaff mit dem Wäschekorb in die Themse ausleeren. Ist der Grundgedanke des Originals, dass ein wenig ehrenvoller, heruntergekommener Vertreter der Ritterschaft von den Frauen einer aufstrebenden Mittelschicht vorgeführt wird, so ist davon in der Inszenierung von Luca Ronconi wenig zu sehen. Arthaus hat die Premiere aus dem Teatro Communale in Florenz im Rahmen der Festspiele Maggio Musicale Fiorentino im Jahr 2006 nun auf DVD wieder aufleben lassen.

Bei Ronconi ist der Ritter Falstaff ein Spät-Hippie, der sich mit den Alt-Rockern Bardolfo und Pistola abgibt. Diese zeitliche Verlegung gibt dem Stoff nicht unbedingt viel Neues, dafür aber dem Kostümbildner die Möglichkeit, seine Fantasie spielen zu lassen. Carlo Maria Diappi kreiert wunderschön hässliche Bekleidung: Falstaff Werbungsoutfit in engen Schlaghosen, oder Ms Quicklies giftgrünes Kleid sind wirklich zum Schreien komisch. Herr Ford ist dagegen ganz eindeutig als Spießer eingeordnet, was auch der Intention der Regie entspricht. Ronconi nutzt diesen Clash der Lebensstile fast noch zu wenig, während er die Geschichte recht sauber nacherzählt. Immerhin verhindert die Bühne von Margherita Palli zum größten Teil, dass sich die Sänger vorne an der Rampe aufhalten können. Palli baut sorgfältig die aus vielen Eben bestehende Häuserlandschaft der beiden Parteien. Zum einen Garten und Wohnzimmer der Fords, in das sich ein großer Schwall Wasser ergießt, wenn Falstaff in die Themse geworfen wird. Zum anderen die spelunkenartige Wohnung Falstaffs, die sehr spartanisch eingerichtet ist. Die Verwandlung im dritten Akt zum Windsor-Park ist fast ein poetischer Augenblick. Ein Ast bricht durch das Fenster Falstaffs, die Wohnung reist auseinander, und das Bett mit dem darin schlafenden Falstaff strandet auf den Ästen der nun bühnenbeherrschenden Eiche. Das gibt verdienten Szenenapplaus. Leider nutzt die Regie die Möglichkeiten dieses Augenblicks zu wenig. Ob das Ganze nun ein Traum Falstaffs ist, kann man nicht genau ermitteln. Falstaffs Abreibung fällt sehr harmlos aus, die abschließende Schlussfuge hat kaum szenischen Pepp.

Immerhin tritt das gesamte Ensemble sehr spielfreudig auf. Doch dank einer recht Gesichter bezogenen Kameraführung beobachtet man, wie konzentriert sich einige Sänger durch die teils aberwitzigen Einsätze arbeiten. Sie sprechen die Phrasen der Kollegen lautlos mit, um auf Punkt wieder in der Musik landen zu können. Die Video-Regie von Paola Langobardo ist ebenso sauber wie einfallslos, die Kameraführung kommt immerhin ohne nennenswerte Wackler aus. Der Ton ist sehr zufriedenstellend und klar. Man hat sogar den Eindruck, dass manche Sänger durch das Mikrophon gewinnen.

Etwa der sehr kultiviert singende Daniil Shtoda, der vielleicht eine etwas zu kleine Stimme für den Fenton besitzt. Doch sein gefühlvolles Timbre überzeugt letztendlich ebenso wie der pralle Stimmeinsatz von Carlo Bosi, Gianluca Floris und Luigi Roni als Dr. Cajus, Bardolfo und Pistola. Manuel Lanza versucht vergeblich, als Hausherr Ford alles unter Kontrolle zu halten. Seine Eifersucht ist vokal etwas forciert. Ehefrau Alice hat auch stimmlich die Hosen an, wobei Barbara Frittoli zugleich auch sehr passend attraktiv klingt. Ihr ganz mühelos durch die Ensembles gleitender Sopran führt die Damenriege an: Mariola Cantarero ist eine solide Nanetta, Elena Zilio die witzige Ms Quickly und Laura Polverelli die engagierte Meg Page. Doch der eigentliche Kaufgrund dieser DVD liegt natürlich in der Kunst des Ruggero Raimondi. Der ist auch 2006 über den rein stimmlichen Zenit schon hinaus, doch Raimondi sitzt, wie man so schön sagt, auf der Partie. Er weiß, wie er sich die Rolle einteilen muss, singt sich von Akt zu Akt immer mehr warm und teilt vokal richtig gut aus. Da kann man auch über mache dumpfe Tiefe hinwegsehen. Kombiniert mit seiner eindrucksvollen Bühnenpräsenz, schüttelt er die Rolle quasi aus dem linken, kleinen Finger. Allein seine Tanzeinlage im zweiten Akt ist das Einlegen der DVD wert.

Das Orchester del Maggio Musicale Fiorentino ist ein zweiter Falstaff: Mächtig im Klang, aber absolut agil und witzig. Zubin Metha nutzt diese Vorteile aus und gibt dem Werk amüsierten Schwung. Dankenswerterweise übertreibt er die großen Tempoausbrüche nicht, sondern achtet sehr genau auf die Sauberkeit in den Einsätzen. Der Applaus vom Publikum ist vor allem für den Chefdirigenten Metha, das Orchester und Raimondi sehr lautstark.

Insgesamt also eine recht ordentliche Wiedergabe des Falstaff, an der man durchaus Freude haben kann. Sehr schade ist, dass man bei der DVD auf jegliche Extras verzichtet hat, die den recht hohen Kaufpreis verständlich machen würden.

Christoph Broermann

Fotos: Archivio teatro Maggio Musicale Fiorentino, New Press Photo Firenze