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 DVD-Besprechung

Christoph Willibald Gluck - 300 Years

7.3.2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Unzeitgemäßes Regietheater zum Geburtstag

2014 jährt sich der 300. Geburtstag des Opernreformators Christoph Willibald Gluck. Deswegen hat Arthaus-Musik drei prämierte Operninszenierungen seines Werkes in einen Schuber gepackt und in poppige Optik gehüllt. Doch der frische Anstrich blättert rasch und offenbart Altbackenes für die Augen. Nur die Musik und der Gesang: die sind zeitlos und bereiten streckenweise Spaß.

Alceste , ganz zuvorderst im Schuber, in der Pariser Version von 1776, wurde 2006 in der Staatsoper Stuttgart von Jossi Wieler und Sergio Morabito inszeniert. Die Kostüme sowie die Bühne stammen von Anna Viebrock und lassen eine kühle Welt à la Rainer Werner Fassbinder entstehen. So oder ähnlich stellt man sich rückblickend die BRD Ende der 1960-er Jahre vor. Die Protagonisten tragen teuflisch rote Haarschöpfe, und die Zwillinge, die konsequent, beinahe autistisch fokussiert über die Bühne weben, wirken seltsam lebendig in den düsteren Szenerien. Das Orchester unter der Leitung von Constantinos Carydis liefert guten Durchschnitt. Der Chor unter der Leitung von Michael Alber ebenfalls. Unter den Solisten sticht Catherine Naglestad in der Titelpartie klar heraus, und sie ist es auch, die diese Operninszenierung so hörenswert macht. Ihr Gatte Adméte, gesungen von Donald Kaasch, ist zwar in seiner Rolle überzeugend, doch stimmlich weniger mitreißend. Die kühle und mobile Stellwand-Optik der Inszenierung ist für Theaterverhältnisse sicher angemessen, für den Fernsehzuschauer eher ermüdend und reichlich düster. Bei den wenigen wirklichen Nahaufnahmen kommt es schon mal vor, dass die Kamera nicht rasch genug die Schärfe zieht. Das ist schade, schließlich ist es gerade der Vorteil von gefilmten Bühnenmitschnitten, dass die Kamera ungleich näher an die Protagonisten herankommen kann als das Publikum im Zuschauerraum.

Der beiliegende Text des Booklets versucht im oberlehrerhaften Duktus die Dramaturgie der Oper Alceste zu erklären und verliert sich in den Aufzählungen der Widersprüche. Nach der Lektüre ist man nur wenig schlauer und sollte lieber ohne den Anspruch auf inhaltliche Durchdringung die Musik genießen. Wenn Dramatik und Widerspruch schön klingt, kann die Logik gerne etwas auf sich warten lassen.

Dass alt nicht mit altbacken gleichzusetzen ist, beweist hingegen der Fernseh- und Videoregisseur Thomas Grimm mit Iphigénie en Tauride von 2001 aus dem Opernhaus Zürich. Nur die wenigen Schwenks über das Orchester La Scintilla des Züricher Opernhauses und dessen Dirigenten William Christie verraten das Entstehungsjahr. Die Bühneninszenierung von Claus Guth ist einfach und effektvoll. Bühne und Kostüme von Christian Schmidt stehen ganz im Dienste der Handlung, und die Szenerie ist auch für die Kameras ausreichend ausgeleuchtet. Die Armenierin Juliette Galstian scheint prädestiniert für die Rolle der Iphigénie zu sein. Ihr warmes Timbre, ihre Bühnenpräsenz und nicht zuletzt ihre Glaubwürdigkeit der eingenommenen Rolle gegenüber, machen sie zum Hingucker dieser DVD-Produktion. Da ist es nur zu verständlich, dass die Kamera die meiste Zeit auf ihr verzweifeltes Antlitz gerichtet ist. Rodney Gilfry in der Rolle des Oreste kann da auch nur aufgrund der Anlage seiner Partie noch mithalten. Diese Aufnahme bildet die rühmliche Ausnahme in der DVD-Box, bei der es sich lohnt, die Augen auf zu behalten und die Bilder auf sich wirken zu lassen.

Die dritte und letzte DVD im Schuber ist Orfeo ed Euridice, inszeniert von Harry Kupfer. Ein Live-Mitschnitt aus dem Royal Opera House, Covent Garden, von 1991. Es spielt das Orchestra of the Royal Opera House unter der Leitung von John Brown. Der Royal Opera Chorus unter der Leitung von Robin Stapleton singt wunderbar, ebenso wie Gillian Webster in der Rolle der Euridice zart und grazil die Töne moduliert. Auch Jeremy Budd, Amor, interpretiert seine Rolle gut. Jochen Kowalski in der Titelpartie des Orfeo nimmt man ohne Zweifel seine Leiden ab. Allerdings hält man sich besser die komplette Inszenierung lang die Augen zu und genießt nur den Ton der DVD. Was dort von Hans Hulscher eingefangen wurde, ist nämlich wenig prickelnd und wird der zeitlos schönen Gluck-Oper so gar nicht gerecht: Die Bühne ist unsäglich dunkel, dünne Vorhänge wallen im Hintergrund, irgendwas bewegt sich im Halbdunkel. Klare Konturen oder einen räumlichen Eindruck der Szenerie bekommt man nicht vermittelt. Orfeo trägt eine verwaschene Jeans, die bis zum Bauchnabel reicht, und eine rockige Lederjacke mit Schulterpolstern. Der typische 1990-er-Jahre „Vokuhila“-Haarschnitt des Protagonisten passt da ganz wunderbar zum Kostüm, aber nicht zur Musik. Zu Beginn ist Orfeo noch mit einer Akustikgitarre bewaffnet, später wechselt er sie gegen eine rote E-Gitarre ein. Es wirkt reichlich seltsam, wenn vorklassische Klänge aus dem Orchestergraben emporsteigen und auf der Bühne einer mit der E-Gitarre jongliert. Als Orfeo über den wiederholten Verlust seiner geliebten Euridice verzweifelt, hebt er die Gitarre an, um sie auf dem Boden zu zerschmettern. Doch leider hält er kurz vor dem Bodenkontakt inne und beraubt dabei nicht nur sich selbst der emotionalen Glaubwürdigkeit, sondern legt auch die Fassade der Opernemotionen offen. Was wäre es eine Bereicherung gewesen, wäre diese Gitarre vor der Kameralinse zerschmettert worden! Stattdessen klammert sich die Kamera an die weit aufgerissenen Augen Kowalskis, versucht noch nicht einmal Spannung mit den gegebenen Bildern aufzubauen und versuppt im lahmen Bühnengeschehen. Was im Theater wunderbar funktionieren kann, ist nicht selten ungeeignet für die Kameralinse oder bedarf zumindest bei guten Anlagen einer Adaption für das lineare Medium. Diese DVD beweist einmal mehr, dass Bühnenabfilmungen für Fernseh- oder DVD-Verwertungen nicht ohne bedeutenden Mehraufwand zu leisten sind. Schade.

Jasmina Schebesta

Fotos: A. T. Schäfer, Susanne Schwiertz, Catherine Ashmore