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Kein Ende
Gert Voss gilt als einer der größten deutschsprachigen Schauspieler. „Er ist ein gefährlicher, nackter Schauspieler, ein unheimlicher Clown, ein wilder Stier, aus dem Käfig ausgebrochen“, soll George Tabori über ihn gesagt haben. Die Zeitung Times kürte ihn 1995 zum besten Schauspieler Europas. Eine von vielen Auszeichnungen, von denen in seiner Biografie keine Rede ist. Die entstand 2011 beim Styria Verlag als „Theaterreise“ in Zusammenarbeit mit seiner Frau Ursula. Als das rund 300 Seiten starke, reich bebilderte Buch erschien, ahnte Voss noch nicht, dass er sein letztes großes Werk geschaffen hatte. Am 13. Juli dieses Jahres verstarb er im Alter von 72 Jahren „nach einer kurzen, schweren Krankheit“ in Wien. Die gern gewählte Formulierung hat im Fall des Schauspielers etwas Tröstliches. Voss war Zeit seines Lebens selten krank. Aber er empfand, so ist nachzulesen, Krankheiten immer als eine existenzielle Bedrohung.
„Ich bin kein Papagei“ ist ein in mehrfacher Hinsicht großartiges Werk. Voss hat sich seinen Weg an die Spitze der deutschsprachigen Schauspieler hart in einer Generation erarbeitet, die Regisseure wie Zadek, Peymann, Tabori oder Bondy prägten. Namen, die seinerzeit für viel Empörung sorgten und heute als Sterne am historischen Theaterhimmel leuchten. Und Persönlichkeiten, mit denen Voss zusammen gearbeitet, an denen er sich abgearbeitet, mit denen er Erfolge gefeiert hat. In Anekdoten und Versatzstücken entwirft der in Shanghai geborene Schauspieler Bilder von Charakteren, die so feinsinnig wie exzentrisch, so visionär wie gesellschaftspolitisch relevant waren.
Aber es ist auch ein Buch über die Unsicherheiten, über das sich selbst Finden eines Schauspielers, der den tieferen Zugang zur Darstellung sucht. „Der Schauspieler meint, das zu verkörpern, was er mit seiner Figur zeigen will, der Zuschauer sieht ihn, und in den Augen des Zuschauers entsteht eigentlich die Wahrheit oder das, was der Zuschauer hineinprojiziert. Je mehr Menschen-Wissen ein Schauspieler hat, desto reicher ist sein Spiel.“ Dabei bleibt Voss stets uneitel, der ewig Suchende, der Naive. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Schauspieler gibt, der gerne für sich selbst spielt. Mir fällt auch nur dann Neues ein, wenn ich vor anderen probiere. Ich kann mir noch so viel zu Hause ausdenken, die Explosion oder Implosion findet auf der Probe statt durch die Dinge, die plötzlich auf mich einwirken.“ Aber auch: „Immer ist das Theaterspielen ein Gegen-etwas-Spielen, gegen seine Partner spielen, gegen das Publikum spielen. Das ist entscheidend, es geht nicht um eine Harmonisierung beim Spielen, durch das Gegen-Spielen entsteht Erotik. Und sogar – paradoxerweise – wirkliches Zusammenspiel.“ Gert Voss beschreibt keine Plattheiten, sondern den Weg einer Suche.
Nicht zuletzt, aber darauf muss man nach der Schilderung der Kindheit lange warten, wird es auch eine Liebeserklärung an seine Familie. Während seiner Theaterreise taucht sie nur selten auf, und das ist schade. Erst gegen Ende der Biografie erfahren der Leser und die Leserin ein wenig über die private Seite eines Künstlerlebens, das vom Innenleben des Schauspielers geprägt ist.
Gert Voss hat uns ein Werk hinterlassen, das uns unprätentiös eine ganze Generation von Theatermachern vorstellt, die vom Mainstream nichts wissen wollten, sondern nach neuen Darstellungsformen gesucht haben. Zusätzlich hat der Mime sein Werk übrigens eingesprochen – für Menschen, die Hörbücher mögen, ein Muss.
Michael S. Zerban, 29.8.2014
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