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Buchbesprechung

Riccardo Muti - Mein Verdi


Autor



Armando Torno ist Journalist und Musikkritiker. Er schreibt neben Essays für den Corriere della Sera.


Kaufinformationen

Riccardo Muti: Mein Verdi.

Bärenreiter Henschel

ISBN 9783761823446

Gebunden, 158 Seiten, 20 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Verdi war Kosmopolit

Wer den Einband des Buches sieht, könnte glauben, aus einem großen italienischen Dirigenten werde nun womöglich auch noch ein großer Dichterfürst. Riccardo Muti – Mein Verdi ist da als Titel zu lesen. Erst, wer das Buch aufschlägt, erfährt, dass nicht Muti, sondern der Musikkritiker Armando Torno das Buch „herausgegeben“ hat. „Entstanden ist das Buch zwischen Probe und Premiere, im Anschluss an ein Vorsingen oder an Tagen, die ganz dem Partiturstudium gewidmet waren. Mal trafen wir uns in seinem Haus in Ravenna, dann wieder in einer stillen Ecke in der Oper in Rom“, schildert der Autor die Entstehung des knapp 160-seitigen Buches, der es dann nicht auf den Titel schaffte. Immerhin schaffen die Verlage Bärenreiter und Henschel damit noch eine Transparenz, die andere Verlage berühmten Persönlichkeiten mit Buchwunsch nicht zumuten. Das Werk ist aus der Sicht des Ich-Erzählers geschrieben, so dass kritische Fragen nach der Person des Maestros gar nicht erst beleuchtet werden zu brauchen. Torno selbst nutzt das Vorwort, um Muti zu preisen. „Er verdankt diesem Komponisten viel, aber man kann es auch umgekehrt formulieren: Verdi hätte in den letzten Jahrzehnten wahrlich Anlass genug gehabt, sich immer wieder bei Muti zu bedanken.“ Dass es nicht mehr zeitgemäß ist, Menschen zu überhöhen, beklagt denn auch indirekt Muti. „In meiner Kindheit galten König Vittorio Emanuele II, Giuseppe Mazzini, Garibaldi und Verdi noch als Patres patriae, als Väter des Vaterlandes. Eigentlich wurden sie in unserem Bewusstsein sogar wie Heilige verehrt, rein und unbefleckt. Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Sie verwandelten sich in Normalsterbliche, die – bei aller Genialität – auch mit menschlichen Schwächen behaftet waren.“

Dass sich unsere Geisteshaltung diesbezüglich geändert hat, hat sich ja auch vielfach schon bewährt. Man denke nur an Persönlichkeiten wie Furtwängler oder Gründgens, die erst vom Sockel geholt werden mussten, damit eine historische Aufarbeitung möglich wurde und ihre Leistungen wieder gewürdigt werden konnten. Dass früher alles besser war, gilt inzwischen längst als widerlegt. Nicht so für Muti. Als die Gattin Toscaninis ihm berichtet, so sagt er, dass die 80-jährige Dirigentenlegende sich nach einer La-Traviata-Aufführung noch mit der Partitur beschäftige, ist er begeistert. „Heute dürfte eine solche Hingabe bei der jüngeren Dirigentengeneration eher Seltenheitswert haben. In früheren Jahren erwartete man dagegen von einem aufstrebendem Orchesterleiter eine Vorbereitung, wie sie nunmehr undenkbar erscheint.“ Kurz darauf relativiert er seine allzu rückwärtsgewandte Haltung. „Nichts gegen junge Dirigenten übrigens! Ich widme ihnen viel Zeit und Aufmerksamkeit. Wenn ich jedoch von einem von ihnen gefragt werde, wie ich mich einer Partitur nähere, so zitiere ich niemanden anderen als Verdi selbst, der ebenfalls nach dem Geheimnis seiner Genialität und seiner großartigen Werke gefragt wurde. Seine Antwort: ‚Drei Dinge: Arbeit, Arbeit, Arbeit.‘“

Zwar belegt Dirigent Muti seine Einwände gegen alternierende Interpretationen fundiert mit Hinweisen auf die Notationen in der Partitur, führt aber gleichermaßen das Argument ein, man müsse dem Geiste Verdis entsprechen. Und da gibt es wiederum jede Menge Interpretationsspielraum. Dass Muti der eine oder andere hohe Ton am Ende einer Arie stört, eine übertrieben pathetische Geste oder gar zu viel Bewegung auf der Bühne, mag zwar dazu führen, dass er zu den ersten seines Fachs gehört. Den Anspruch auf die alleinige Wahrheit damit zu begründen, scheint dann doch zu wenig.

Aber liest man ein solches Buch tatsächlich, um die allein glückselig machende Wahrheit zu erfahren? Oder ist es so interessant, weil es hier Histörchen, Bonmots und Anekdoten aus der Welt eines der erfolgreichsten Dirigenten der Welt hagelt? Es wird wohl eher letzteres sein. Und da werden Leserinnen und Leser nicht enttäuscht. Dass es dazu noch Einsichten in das Leben Verdis gibt, stört überhaupt nicht. Riccardo Muti – oder Armando Torno – bringt die Begeisterung für das Buch auf den Punkt: „Verdi hat wirklich stellvertretend für alle Menschen geweint und geliebt. Deshalb findet sich nicht bloß die italienische Kultur in seinen Opern wieder, sondern die der ganzen Welt.“ Das könnte auf Italienisch auch nicht schöner klingen.

Michael S. Zerban, 19.8.2013