Dem Tanz gehört die Welt
Wenn nach 35 Jahren der Intendant ein wohl bestelltes Haus hinterlässt, das er selbst mitbegründet hat, ist es völlig legitim, dazu ein Buch herauszubringen. Ebenso gerechtfertigt ist, die Leistungen des Hauses zu würdigen und die Bedeutung für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herauszustellen. So geschehen im Tanzhaus NRW, das ein fast 300 Seiten starkes Paperback im Verlag Theater der Zeit hat veröffentlichen lassen: Das Tanzhaus NRW – Von der Utopie zum Modell für die Zukunft, herausgegeben von Johannes Odenthal.
Beim ersten Durchblättern fallen einem die großartigen, überwiegend vierfarbigen Fotos ins Auge. Allein sich daran sattzusehen, lohnt die Anschaffung des Jubiläumsbandes zu einem doch eher moderaten Preis.
Wer die durchwegs überflüssigen Grußworte überspringt, kommt alsbald nicht nur zum Werbetext, sondern vor allem zu einem wunderbaren Ausflug in die Entwicklung des zeitgenössischen Tanzes. Gerade, weil das Tanzhaus – und das ist ein Verdienst Bertram Müllers, des langjährigen Intendanten – sich so frühzeitig international vernetzt hat, kann es heute diese Entwicklung so glanzvoll Revue passieren lassen. Wir begegnen nicht nur den großen Namen der Tanzszene, sondern erfahren auch viel über die Veränderungen in den Philosophien der Bewegung.
Überraschend gleich zu Beginn – noch vor den Grußworten – die Ankündigung von Johannes Odenthal. „Dieses Buch ist ein Arbeitsbuch. Es wurde geschrieben von denjenigen, die mit ihrem alltäglichen praktischen Engagement und mit ihren unendlichen Erfahrungen den höchst komplexen Organismus Tanzhaus NRW lenken, weiter entwickeln und erfolgreich machen.“ Und wirklich wird das Buch dem Anspruch gerecht, „eine Art reflektierenden Innehaltens in der atemberaubenden Expansion von Ideen, die in Programmen der Kunstproduktion, der kulturellen Vermittlung und der Bildungsarbeit immer Wirklichkeit geworden sind“ zu sein.
Fragst du die Düsseldorfer nach dem Tanzhaus NRW, wirst du immer zwei Antworten bekommen. Die einen sind begeistert von dem Angebot, selber zu tanzen. Die anderen loben die Aufführungen, die ihnen die Größen der Tanzszene oder die Entwicklungen in der Körpersprache näher bringen.
Und genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich das Tanzhaus. „Kontinuität und Durchhaltevermögen zahlen sich aus. Das Tanzhaus NRW zeigt, wie ein zuverlässiger Ansprechpartner sowohl für die Kunst als auch für die Politik und die Menschen in der Umgebung ‚die Grenzen zwischen Kunst und dem Leben niederreißen‘ kann“, befindet Linda Müller, Leitung des Fachbereichs Tanzvermittlung im NRW Landesbüro Tanz.
Das Werk ist zweisprachig aufgebaut, wohl, um der Internationalität Genüge zu tun, und wird, auch grafisch, immer wieder von solchen Zwischenrufen unterbrochen. So entsteht lebendige Vielfalt, die das Wirken im Tanzhaus widerspiegeln mag.
Die Ära Müller ist zu Ende. Das Buch ist allemal noch lesens- und sehenswert. Auch wenn die Weichen unter der neuen Intendanz neu gestellt werden – die Wurzeln bleiben.
Michael S. Zerban, 10.4.2014
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