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BACKSTAGE

3 FRAGEN-3 ANTWORTEN


Lucian Plessner


Lucian Plessner brachte sich das Gitarrenspiel selbst bei und gab im Alter von fünfzehn Jahren seinen ersten Soloabend. Nach seinem Studium an den Musikhochschulen in Köln und Aachen lebte er fünf Jahre in Spanien (Córdoba, Andalusien). Dort wurde er 1987 von einer spanischen Konzertagentur für eine Solotournee durch das ganze Land  engagiert.

Seinen prägendsten Unterricht erhielt er vom Amadeus Quartett, Chaim Taub, Alexis Weissenberg und Alicia de Larrocha.

Furore machte Lucian Plessner 1989 mit seinen Bearbeitungen der Musik Leonard Bernsteins für Konzertgitarre, zu denen er vom Komponisten selber angeregt und autorisiert wurde. Mit diesem Programm gab er Konzerte von San Francisco bis nach Moskau, gastierte in Häusern wie der Musikhalle Hamburg, dem Konzerthaus Wien, N.Y.U., dem „Kfar Blum Festival“ in Israel zu Leonard Bernsteins fünften Todestag und den „Settimane Musicali di Stresa e del Lago Maggiore“, wo er neben Künstlern wie Vladimir Ashkenazy, Shlomo Mintz und Mstislav Rostropowich auftrat.

1994 spielte er sein Bernstein Programm Lord Yehudi Menuhin zu dessen Geburtstag vor.

Seit dem Jahre 2002 führt Lucian Plessner mit Klaus Maria Brandauer einen „Literarisch-musikalischen Dialog“ mit verschiedenen Programmen auf: Platero und ich, eine andalusische Elegie,  Ein Atheist von Gottes Gnaden aus den Erinnerungen des Cineasten Luis Buñuel und Halifax und Biwifax ungewöhnliche  Geschichten zur Weihnachtszeit.

Im Mai 2006 gestaltete er das Lichtkonzert mit Bach – die Lautensuiten Bachs in einer interaktiven Lichtchoreographie, mit dem New Yorker Lichtkünstler und „American Academy Award“- Preisträger Tom Brigham in der Historischen Stadthalle Wuppertal.

Im Oktober 2006 gastierte Lucian Plessner im Rahmen des Leonard Bernstein Festivals der Harvard Unversity „Boston to Broadway“ und am Deutschen Generalkonsulat New York.

Januar 2009, Uraufführung der Fantasie für Gitarre, Orchester und Band unter der Leitung des Komponisten Martin Döpke, der ihm dieses Stück auch widmete.

2010: Der argentinische Komponist Gabriel Pérez schreibt einen Zyklus von Tangos für Lucian Plessner.

2011 musikalische Lesung mit Katja Ebstein nach dem Roman Die Mathematik der Nina Gluckstein von Esther Vilar.

Im April produziert der WDR im Sendesaal das Soloprogramm It Must Be So – Leonard Bernstein On Guitar - Musik und Moderation von Lucian Plessner

Die Bearbeitung der Musik Sergej Prokofjevs wird Lucian Plessner direkt von dessen Erben genehmigt.


 

Backstage-Archiv

Das Backstage-Archiv ist alphabetisch nach den Nachnamen der Gesprächspartner geordnet.

 

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Kostbare Entdeckung

Der Musiker Lucian Plessner hat sie entdeckt, gesammelt und gemeinsam mit der Russin Alexandra Kravtsova ins Deutsche übertragen: Erzählungen des Komponisten Sergej Prokofjev. Jetzt sind sie in der Edition Elke Heidenreich unter dem Titel Der wandernde Turm erschienen. Opernnetz erzählt Plessner, wie es dazu kam und was ihn persönlich mit Prokofjev verbindet.

Opernnetz Es gehört ja nicht gerade zu den üblichen Dingen des Lebens, als deutscher Musiker in Moskau in alten Zeitschriften ein paar Kurzgeschichten zu finden. Wie kam es dazu, und wann haben Sie den Wert Ihres Fundes bemerkt?

Lucian Plessner Dazu kam es während eines Gastspiels in Moskau. Ich gab ein Konzert beim Festival Moskauer Herbst und verbrachte die Stunden danach mit Freunden in der Wohnung Sergej Eisensteins. Diese Wohnung war Eisensteins letzte Wohnung und ist nach wie vor in dem Zustand in dem er sie verlassen hat. Heute ist sie ein Museum, für dessen Besichtigung man normalerweise einen Termin vereinbaren muss. Da aber einer meiner Freunde in Moskau eine führende Persönlichkeit in der Filmbranche ist, habe ich durch ihn Zugang zu der Wohnung. Ich finde dieses Domizil absolut aufregend, und so hat es sich ergeben, dass wenn immer ich in Moskau spiele, wir danach dort gemeinsam essen und trinken – von den Tellern und aus den Gläsern, aus denen auch Sergej Eisenstein und wahrscheinlich auch Sergej Prokofjev gegessen und getrunken haben. Die beiden waren ja befreundet – Prokofjev hat die Musik zu mehreren Filmen Eisensteins komponiert. Und irgendwann zu vorgerückter Stunde, wie es halt so ist, lehne ich mich mit dem Stuhl an das Bücherregal, den Wodka in der einen Hand und ziehe mit der anderen eine alte Zeitschrift heraus auf deren aufgeschlagener Seite ich die Überschrift Sergej Prokofjev - Rasskasij lese. Man bestätigte mir, dass es sich tatsächlich um Erzählungen des Komponisten handele, zwei oder drei Geschichten veröffentlicht in dieser Zeitschrift aus den Dreißiger Jahren. Das haute mich um, davon hatte ich noch nichts gehört. Als ich dann wieder in Deutschland war, rief ich Oleg Prokofjev an, den Sohn, erzählte ihm von meinem Fund und meinte, dass diese Geschichten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssten. Er gab mir grünes Licht, wir blieben in Kontakt und er hielt mich auf dem Laufenden, was weitere Geschichten anbetraf, denn mit der Zeit kamen noch mehr Erzählungen ans Tageslicht.

Opernnetz Wie haben Sie herausgefunden, dass es sich um echtes Material handelt, und wie gestaltete sich dann der Weg bis zum fertigen Buch?

Plessner Oleg Prokofjev bestätigte mir das. Durch ihn erfuhr ich dann auch von einer englischen Übersetzung, die ich aus Lust, „Hand an Prokofjev zu legen“ ins Deutsche übertragen habe. Es reizte mich unglaublich, an prokofjevschem Material zu arbeiten, musikalisch konnte ich ihn nicht angehen, es gibt ja nichts von ihm für mein Instrument. Etwas später dann, als ich die russischen Originale hatte, bat ich eine Freundin, Frau Kravtsova, deren Muttersprache Russisch ist, diese parallel zu lesen, während ich ihr meine deutsche Übersetzung vorlas. Wir stellten fest, dass meine Übersetzungen näher an dem Original waren als die englischen Versionen, die immerhin von Oleg Prokofjev stammten. Wenn dem so ist, dachte ich, können wir was damit anfangen. So übersetzten Frau Kravtsova und ich dann alle Geschichten, und ich begab mich auf die Suche nach einem Verlag. Diese Suche gestaltete sich allerdings zu einer wahren Odyssee, die ich jetzt nicht Revue passieren lassen möchte. Was ich da an Lob und Begeisterung erlebte, an Zusagen erhielt, was letztendlich alles - sämtlich! - und zum Teil auf dubiose Weise, in der Versenkung verschwand... unfassbar! Aber Ende gut... - so sagt man ja - Elke Heidenreich war dann sofort begeistert, und die Sache nahm konkrete Formen an (Danke, Elke!), es wurde sofort konstruktiv. Aber über zehn Jahre hat’s gedauert; als ich den Nachlassverwalter darüber informierte, lachte der durchs Telefon, ich sei der beste Agent den Prokofjev jemals gehabt habe. Manchmal muss man seltsame Wege gehen, aber was soll’s? – Zum Teufel, sagt man in Russland.

Opernnetz Welcher Prokofjev ist wichtiger: Der Musiker oder der Schriftsteller? Und welche Beziehung hat der Musiker Plessner zu ihm?

Plessner Der Musiker ist wichtiger, eindeutig! Aber Vorsicht! Man soll sich von dem Urteil nicht in die Irre leiten lassen. Der Komponist Sergej Prokofjev war absolut einmalig in der Musikgeschichte, aus heutiger Perspektive betrachtet. Wenn man ihn aus seiner eigenen Perspektive betrachtet, also abzuwägen versucht, wie sich seine Ambitionen während seiner Schaffenszeit dargestellt haben, muss man konstatieren, dass er eine privilegierte musikalische Ausbildung genossen hatte, früh schon kompositorische Erfahrung gesammelt hat,  ergo seine musikalischen Fähigkeiten einen uneinholbaren Vorsprung gegenüber seinem literarischen Talent hatten. Der Schriftsteller Prokofjev konnte gar nicht das Niveau des Komponisten erreichen. Was aber diese Erzählungen so ergiebig, unterhaltsam und wichtig macht, ist der Einblick, den wir durch sie in die Person Prokofjev erhalten. Den Einblick in einen schier endlos schöpferischen Geist. Prokofjev hat auf Reisen geschrieben, im Zug, im Hotel, auf dem Schiff, auch als er krank war und ein Konzert absagen musste, immer dann, wenn er nicht komponieren oder Klavier spielen konnte. Sein Schöpfungsdrang war unersättlich. Und was ist in ihm vorgegangen? Seine Phantasie hat ständig skurrile Bilder erzeugt, ulkige Begebenheiten gezeichnet, gesellschaftliche Zustände aufs Korn genommen und deren Groteske gespiegelt.  Er war ironisch, ohne beißend zu sein, aber auch tief, ernst und dramatisch, die dostojewskischen Dämonen der russischen Seele waren Prokofjew wohl bekannt, das Zerstörerische ihm vertraut. Ich meine, Anlehnungen an Gogol, Dostojewski wie gesagt, und Tschechow bei ihm heraus zu hören. Belesen war Prokofjew seit seiner frühesten Jugend, Literatur gehörte für ihn einfach dazu, die Libretti für seine Werke hat er ja größtenteils auch selbst verfasst.

Heute ist für mich der musikalische Prokofjev untrennbar mit dem literarischen verbunden. Zu dem beeindruckenden Kindheitserlebnis Peter und der Wolf hat sich das Erfahren eines genialen und sprudelnd umtriebigen Geistes gesellt, dessen Schaffen sich über die Musik hinaus erstreckt und dessen eines Talent ich selbst mit entdecken durfte. Auch jetzt, da ich Prokofjev spiele, die Erben haben mir gestattet seine Musik für die Gitarre zu bearbeiten, kann ich keines seiner Stücke für sich betrachten, ich empfinde bei jeder einzelnen Note immer diesen ungeheuer facettenreichen, ausgesprochen geradlinigen und endlos produzierenden, schöpferischen Geist. Mein Sergej Prokofjev ist in all seiner Vielfalt ein Künstler mit enormer Strahlkraft und in seiner Empfindsamkeit fast schon von einschüchternder Souveränität.

Die Fragen stellte Michael S. Zerban am 5.3.2012.

 


Lucian Plessner bearbeitet Prokofjev
für Gitarre (Foto: Volker Brzezinski).


Prokofjev-Statuette in Sergej
Eisensteins letzter Wohnung in Moskau
(Foto: privat).