„Oper ist ... Verzauberung“
Hans-Christian Schmidt-Banse initiierte erstmalig den Europäischen Wettbewerb Yeah! ... Neue Zugangswege zur Musik in Osnabrück. Dort hielt er während der Sound-Perspectives-Konferenz einen Vortrag zum Thema „Sound versus Musik“.
Opernnetz Sie haben auf der Sound Perspectives-Konferenz am 18.11.2011 in Osnabrück prägnant und überzeugend den Unterschied zwischen Filmmusik und Sound/Soundtrack dargestellt und mit Filmausschnitten belegt. Gibt es solche Unterschiede auch beim Genre Oper?
Hans-Christian Schmidt-Banse Wenn man einmal davon absieht, dass in der Oper immer wieder grandiose Soundeffekte gemacht werden (Donner, Regen, Schüsse, Glocken und so weiter), gibt es diesen signifikanten Unterschied zwischen SoundDesign und MusicDesign dort nicht, und es darf ihn nicht geben. SoundDesign ist eigens für den Film entwickelt worden, und zwar zur Steigerung seiner „physischen Wirklichkeit“, wie es Siegfried Kracauer nennt, das heißt zur Versicherung einer größtmöglichen Realität. Das würde die Oper nur schlecht vertragen, denn dort ist alles auf die Herstellung einer größtmöglichen Illusion angelegt. In seinen besten Momenten zeigt der Film ein subtiles, gleichwohl hocheffektives SoundDesign, in ihren besten Momenten zeigt die Oper ein subtiles, gleichwohl hochentwickeltes MusicDesign. Sub specie SoundDesign schließen Film und Opern einander radikal aus. Anders gesagt: wäre der Film - wie in den 40er-Jahren - durchkomponiert wie eine Oper, würden wir ihn heute als unerträglich, weil realitätsfern empfinden.
Opernnetz In welcher Beziehung sehen Sie Handlung und Musik im klassischen Opernrepertoire?
Schmidt-Banse Handlung und Musik sind gleichsam ‚zusammenkomponiert’, was die Dilettanten des heutigen Regietheaters leider nicht erkennen, weil sie keine Noten lesen können und stattdessen mit dem Reclamheftchen rumfuchteln. Egal, in welche Partitur man seine Nase steckt: der innere Irrsinn der Salome - und damit die weitere Handlung - ist wahrhaft psychoanalytisch auskomponiert, nachdem Jochanaan sie zurückgewiesen hat und wenn sich in ihrem Kopf, also musikalisch, alles Weitere andeutet. Verdi hat seinem Rigoletto derart deutliche Rhythmus-Punktierungen mitgegeben, dass man ihn nicht anders als hinkend auf die Bühne bringen kann. Außerdem ist sein hämischer Tonfall gegenüber Monterone derart gewichtig, dass der spätere Handlungsverlauf seine bittersüße Trauer ad absurdum führt. Und Puccini entwarf in den ersten Takten der Tosca das Grundmuster der Handlung, die spätestens in der Te Deum-Szene des ersten Aktes Fahrt aufnimmt. Kurz: wer die Musik lesen kann, kann auch die gedachten Aktionen entschlüsseln.
Opernnetz Lässt die Handlungsstruktur von Opern die Hinwendung zu moderner, unter Umständen serieller Musik zu?
Schmidt-Banse Nein. Oper ist nach meinem Verständnis Verzauberung, sie funktioniert umso wirkungsvoller und eindrücklicher, je entschiedener sie das Kunststück einer glaubhaften Täuschung vollbringt. Dazu gehört die Vox humana, der menschlich anrührende Gesang, dessen Triftigkeit nach Walter Felsenstein aus einer zugespitzten Szene erwachse. Das kann serielle Musik nicht mal für fünf Cent. Sie gehört zu jener Species Musik, von der Carl Dahlhaus einmal sagte, dass jeder sie gerne analysiere und niemand sie gerne höre. Serielle Musik gehört aufs Papier zum Entzücken analysierender Professoren. Mit dem Entzücken wahrnehmender Menschen im Opernhaus hat sie nichts zu schaffen. Es sei denn, man ginge in die Oper, um zwei Stunden lang bis 12 zu zählen…
Die Fragen stellte Horst Dichanz am 24.11.2011.