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BACKSTAGE

3 FRAGEN-3 ANTWORTEN


Regine Müller

Nach ihrer Ausbildung zur Sängerin und einem Studium der Germanistik und Philosophie arbeitete Regine Müller als Dramaturgin und Pressesprecherin der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg. Im Anschluss machte sie sich als freie Kulturjournalistin selbstständig.Heute arbeitet sie als Buchautorin, Redakteurin und Journalistin für verschiedene Medien wie die taz, dpa und den Westdeutschen Rundfunk.


 

Backstage-Archiv

Das Backstage-Archiv ist alphabetisch nach den Nachnamen der Gesprächspartner geordnet.

 

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Das perfekte Pausengespräch

In diesem Jahr dürfte mit einer Flut an Büchern über Richard Wagner zu rechnen sein. Eines der wichtigsten erscheint am 28. Januar bei C. H. Beck: Der kleine Wagnerianer - Zehn Lektionen für Anfänger und Fortgeschrittene. Regine Müller und Enrik Lauer unternehmen darin den Versuch, Wagner auch Menschen mit Berührungsängsten mit dem Komponisten näher zu bringen. Gerne mal mit einem Augenzwinkern - und damit es in der Pause nicht peinlich wird, liefern die Autoren gleich noch die Tipps für den richtigen Gesprächsstoff mit.

Opernnetz Was gibt es über einen Mann, der seit 130 Jahren tot ist, für neue Erkenntnisse, die es lohnen, in einem Buch festgehalten zu werden? Und zwar in einem Buch, das sich Der kleine Wagnerianer nennt – Der Titel bezeichnet ja einen besonderen Menschenschlag, der sich übertrieben intensiv mit dem Werk Wagners auseinandersetzt .

Regine Müller Dass Wagner unerschöpflich ist, wusste ich eigentlich schon, bevor ich mit diesem Buch angefangen habe. Aber im Laufe der Forschungen und Recherchen wurde es absolut evident: Es ist ein Lebensthema. Aus ganz vielen Gründen. Wagner als Mensch war eine schillernde Figur, die charakterlich sicher eher, nun ja – zweifelhaft war. Die Achterbahn seiner Biographie ist aber nicht nur ein Abbild seiner zwanghaften und instabilen, dabei aber ungeheuer energetischen Existenz, sondern sie ist auch ein Spiegel dieser wahnsinnig nervösen, schicksalhaften Zeit. Und da sind wir dann gleich auch beim Werk Wagners, das hoch komplex, rätselhaft und brisant ist. Es bietet eben keine Gewissheiten und Bequemlichkeiten, es bleibt eine Herausforderung. Und der Titel ist eigentlich eher ironisch zu verstehen. Denn wir Autoren gehen bei aller intellektuellen Sorgfalt doch ziemlich frech und respektlos an Wagner und sein Werk heran. Aber das hält es aus.

Opernnetz Bei aller Verehrung für einen großen Komponisten: Manch einer tut sich schwer mit der viel zitierten Geisteshaltung Wagners als Antisemit. Können Sie Entwarnung geben – oder wie geht man mit dieser menschenverachtenden Haltung um? Zu sagen, nur das Werk zählt, ist vielleicht ein bisschen einfach.

Müller In Sachen Antisemitismus kann ich absolut keine Entwarnung geben: Wagner war Antisemit, aber damit befand er sich in seiner Zeit in allerbester Gesellschaft. Will sagen, viele Geistesgrößen, von denen man es nicht erwarten würde, waren damals klare Antisemiten und hielten mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg. Da waren auch große romantische Dichter darunter. Nur werden diese Künstler heute mit dem Antisemitismus nicht in Verbindung gebracht, da das wenig bekannt ist. Mir war vor den Recherchen für das Buch auch nicht klar, wie verbreitet und salonfähig damals der Antisemitismus in weiten Kreisen war, vor allem in intellektuellen Zirkeln! Wagner war also hinsichtlich seiner judenfeindlichen Haltung kein Ausnahmefall, sondern reihte sich bloß ein in etwas, das common sense war. Natürlich war nicht jeder Intellektuelle damals Antisemit, aber die beinharten Romantiker waren es mehrheitlich. Das soll Wagners Haltung nicht entschuldigen, zumal sein Antisemitismus mit seiner Vorliebe für Verschwörungstheorien eine besonders unangenehme Mischung ergab. Der erste Sündenfall in Sachen Antisemitismus war seine Schrift über Das Judentum in der Musik, die er sogar zweimal heraus brachte. Das, was aber heute zu Recht diskutiert wird, ist die Rolle, die Wagner in der Nazi-Zeit gespielt hat. Wir versuchen in dem Buch nachzuzeichnen, wie es dazu kam, und welche Rolle insbesondere seine ihn lange überlebende Gattin Cosima, die tatsächlich die viel härtere Antisemitin war, dabei gespielt hat. Indem sie erstens das Werk ihre verstorbenen Gatten sozusagen eingefroren hat, und dann den kommenden Nazis Tür und Tor geöffnet hat. Inklusive Adolf Hitler, der ja in Bayreuth Stammgast war. Das Thema ist aber sehr facettenreich und schwierig, das lässt dich nicht mal eben schnell erklären.

Opernnetz Als Kulturjournalistin werden Sie beinahe wöchentlich mit den verschiedensten Wagner-Inszenierungen konfrontiert. Werden diese Veranstaltungen im Großen und Ganzen dem Werk Wagners gerecht, oder entfernen wir uns mit zu vielen Modernisierungs- und Aktualisierungsversuchen zu sehr von den ursprünglichen Ideen des Jubilars? Welche Aufführungen sind Ihnen in dem Zusammenhang am ehesten im Gedächtnis geblieben?

Müller Wagner war Avantgardist, und das ganz und gar und radikal. Er hat an seinen eigenen Werken lebenslang aktualisierend herum gebastelt. Er wäre, so glaube ich, als Künstler immer auf der Seite der Erneuerer, der Regisseure, die sein Werk immer wieder neu lesen und deuten wollen. Es ist auch gar nicht die Frage, ob wir nun unbedingt seinem ursprünglichen Willen gerecht werden sollen oder müssen, denn das (große) Werk weiß immer mehr, als der Autor und muss immer wieder neu befragt werden. Auf dem Theater interessiert uns letztlich alle nur das, was uns jetzt und hier betrifft. Und Wagners Werk ist hoch aktuell und hält im Übrigen sehr viel aus. Daran erkennt man seine Größe. Es ist wie bei Mozart und Bach: Man kann die Themen auf dem Kamm blasen, und sie funktionieren doch. Mir sind gar nicht so viele Inszenierungen im Gedächtnis geblieben, ich reise aber auch noch längst nicht so international, wie ich das möchte. Heiner Müllers Tristan in Bayreuth ist eine leuchtende Erinnerung, auch Willy Deckers Tristan in Bochum bei der Ruhrtriennale war großartig. Den eindrucksvollsten Parsifal habe ich vor langer Zeit in Essen gesehen, inszeniert von Jaroslav Chundela, der dort auch meine für mich beste Meistersinger-Inszenierung hingelegt hat. Wunderbar. Poetisch, bilderstark und analytisch völlig klar. Ansonsten? Schwierig. Der Essener Ring war sehr heterogen. Wir warten das Wagner-Jahr ab. Vielleicht kommt noch was Dolles?

Die Fragen stellte Christian Schütte am 20.1.2013.

Die Besprechung des Buches können Sie auf dieser Seite hören.

 


C. H. Beck hat das liebevoll
ausgestattete Buch mit zehn
Tuschezeichnungen angereichert,
die auf die kommenden Ereignisse
neugierig machen.


Über Geld spricht man nicht? Von
wegen. Gerade bei Wagner gibt es
dazu eine Menge zu erzählen.


Die psychologischen Abgründe bei
Wagner sind sprichwörtlich. Müller und
Lauer erklären sie leichtverständlich.


Der Antisemit Wagner: Da wird viel
gemunkelt. Um mitreden zu können,
hilft ein wenig Lesen.


Parsifal widersteht den Verlockungen.
Das war bei Wagner nicht immer so.

Illustrationen: Felix Gephart

Die Illustrationen wurden
freundlicherweise vom Verlag
C. H. Beck zur Verfügung gestellt.