Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

BACKSTAGE

3 FRAGEN-3 ANTWORTEN


Jo Fabian



Jo Fabian, Jahrgang 1960, ist Autor, Regisseur, Choreograph, Bühnenbildner, Video- und Lichtdesigner und Programmierer. In Ostberlin geboren, verlässt er 1987 die Staatstheaterstrukturen und baut sich am Bauhaus Dessau eine eigene Gruppe auf, die ab 1989 ihren Stammsitz im Berliner Theater unterm Dach hat.

Der Künstler wird mit seiner Gruppe Example Dept 1994 mit zwei Arbeiten auf das Theatertreffen eingeladen. Es folgen zahlreiche Gastspiele und Produktionen im In- und Ausland. 1999 erhält Fabian den Deutschen Produzentenpreis für Choreographie.

Fabian entwickelt das Alphasystem, ein System zur Übertragung von Text in Tanz und arbeitet seit der Jahrtausendwende an der Erweiterung seiner Konzeption des Spektralsurrealismus.


 

Backstage-Archiv

Das Backstage-Archiv ist alphabetisch nach den Nachnamen der Gesprächspartner geordnet.

 

zurück       Leserbrief

Kranke Gesellschaft

Am Staatstheater Cottbus wird es in Kürze die Premiere der Philip-Glas-Oper The Fall of the House of Usher geben. Inszenieren wird das zeitgenössische Stück Jo Fabian, international renommierter Choreograph und Regisseur. Fabian hat sich seit Jahrzehnten mit seinen komplexen, höchst assoziationsreichen Bilderwelten einen Namen in der Tanz- und Theaterszene gemacht. Jetzt also zum ersten Mal eine Oper.

Opernnetz In Ihrer bisherigen Arbeit haben Sie herkömmliche Theaterformen in Frage gestellt, nach neuen Ausdrucksformen gesucht und dafür auch (internationale) Anerkennung gefunden. Demontieren Sie jetzt die Oper? Warum muss dann gerade die Glass-Oper Der Fall des Hauses Usher dran glauben, und welche konzeptionelle Idee schwebt Ihnen für die Aufführung in Cottbus vor?

Jo Fabian Entschuldigen Sie, dass ich mich nur in aller Eile mit der Beantwortung Ihrer Fragen befassen kann, da ich mich gerade vor den Endproben einer anderen Produktion befinde, die am 10. März in Dresden Premiere hat. Möglicherweise ist diesem Umstand geschuldet, dass ich nicht auf jede Einzelfrage eingehe und mich eher im Allgemeinen fokussiere.

Der Formulierung Ihrer Frage entnehme ich, dass Sie davon ausgehen, in meinen Händen wird die Glass-Oper Der Fall des Hauses Usher wenn nicht vollständig untergehen, so doch mindestens demontiert. Dazu sei kurz bemerkt, dass ich nicht wegen der „vergnüglichen Arbeit der Demontage“ alternative Berufswünsche aufgegeben habe.  Die Kammeroper von Philip Glass habe ich nicht selbst vorgeschlagen, sondern bin auf ein Regieangebot Martin Schülers eingegangen. Zugesagt habe ich, da ich mit der Musik von Glass ebenso etwas anfangen kann, wie mit der seelischen Deformation des Menschen durch seine Kultur, wie sie Edgar A. Poe erlebt und gezeichnet hat. Außerdem wissen Sie ja, dass dies mein erstes Opernprojekt ist. Eine kleine und übersichtliche Arbeit für die Kammerbühne mit einem Orchester von zwölf Musikern. Im Prinzip ist es doch so, dass ich in diesem Genre der Anfänger bin, und wer würde schon von einem Lehrling ein Meisterwerk abverlangen? In dieser geschützten Ecke halte ich mich bis zur Premiere auf. Danach nutzt das natürlich auch nichts mehr. Es geht im Übrigen für mich eher darum, meine Arbeitsweise und Methoden sowie mein ästhetisches Konzept experimentell auf die Oper zu übertragen. Ob das gelingt, wird sich zeigen. Da ich aber mit wunderbaren und sehr neugierigen Sängern begünstigt worden bin, darf ich auch guter Hoffnung sein. Dagegen ist die inhaltliche Aufarbeitung des Stoffes in Verbindung mit der Musik eher ein konventionelles Unterfangen. Zu viel ist bereits vorgeschrieben und festgelegt, so dass meine Komposition sich lediglich auf den Fächer des Raums und der Figuren beschränken wird. Erzähle die Geschichte in der richtigen Reihenfolge der Ereignisse möglichst so, dass niemand einschläft. Aber selbst wenn das nicht gelingen sollte mit einer Musik, die dazu verführt, sich in einen Trancezustand zu ergeben, dann schlafen sie eben.

Konzeptionell betrachte ich die von Poe beschriebene Situation als Bild einer gesellschaftlichen Krankheit, die sich durch Regression und Katalepsie ausdrückt. In eine frühkindliche Entwicklungsphase zurückfallen und sich totstellen. Seinem eigenen Ansatz gemäß: ohne Aussicht auf Heilung. Es herrscht eine düstere Abschiedsstimmung vor, welche die handelnden Personen mit der sie umgebenden Landschaft verbindet. Poe ging scheinbar davon aus, dass mit dem Zerfall der Behausung auch seine Bewohner untergehen.

Ich mache diese Arbeit aus einer Zeit heraus, da ich an unserem Verstande zu zweifeln begonnen habe. Der periodische Rückfall in frühere Entwicklungsphasen, gepaart mit einer Fehlinterpretation der Symptome unserer Krankheit und die offensichtliche Vermeidung der Ursachenforschung bezogen auf diese Regression, lässt den Schluss zu, dass die Natur des Menschen im Wesen stabil ist, während sich seine Kultur in einem vollkommen instabilen Zustande befindet.

Die Krankheit des Hausherrn, die sich durch Übersensibilität all seiner Sinne ausdrückt, findet eine Entsprechung in der gesunden Anlage eines Tieres. Wenn er es denn selbst begreifen könnte, gäbe ich ihm eine Überlebenschance auf einem niedrigeren evolutionären Niveau. Seine Schwester hingegen scheint eher von einer neurologischen Störung heimgesucht, der Erstarrung des Körpers, die wir bei Tieren als Verhaltensweise vorfinden, um ihr Leben zu retten.

Ich führe jetzt nicht weiter aus, warum es sich meiner Ansicht nach um die menschliche Triebnatur des isolierten Individuums im Kampf mit dem Sozialwesen handelt, welches in einer Kultur beheimatet ist, die ihn zu seinem Schutze gesellschaftlichen Zwängen unterstellt und von ihm ein hohes Maß an Triebverzicht abverlangt, wodurch er sie als feindlich empfinden mag. Wir werden durch die Geschichte davon unterrichtet, wie er ausgeht. Ich möchte nur noch anmerken, dass ich diesen Überlegungen ganz linear folgte und doch zu einem anderen Ergebnis kam als Edgar A. Poe.

Opernnetz Die Größe des Geheimnisses eines Kunstwerkes verhält sich entsprechend zur Produktionsmöglichkeit des Betrachters und wird entweder durch sie noch überboten oder gänzlich unterschätzt“, haben Sie in Ihren Ausführungen zu dem von Ihnen geprägten Begriff „Spektralsurrealismus“ geäußert. Zwar haben Sie den Regisseur dabei ausdrücklich nicht von seiner gestalterischen Verantwortung entbunden – dem Betrachter aber eine Aufgabe oder Verantwortung zugewiesen, die dieser vielleicht gar nicht wahrnehmen will. Darf (Musik-)Theater nicht einfach der Unterhaltung dienen? Was erwartet dann den Zuschauer in Cottbus an „Pflichten“, und wie kann er sie am besten erfüllen?

Fabian Da fragen Sie aber genau den Falschen. Das Musiktheater soll dienen, wem es will, meinetwegen auch der Unterhaltung, nur ich bin nicht bereit, ihr zu dienen. Ich würde es vorziehen, sie zu beherrschen, da sie zwangsläufig zum Narzissmus des Kunstbetriebes gehört. Ein Zuschauer, der einer Aufführung im Theater beiwohnt, ohne sich dabei zu unterhalten, wäre wohl nicht lange ein anwesender Zuschauer. Ich habe überdies nicht darüber zu befinden, was die Oper darf oder nicht darf. Es ist gar nicht mein Feld. Ich vermute aber, sie ist für die Ablenkung und Verdrängung jedweder am Geiste erkrankten Gesellschaft wie geschaffen oder wird dazu missbraucht. Die Oper darf sich womöglich mit der von Ihnen eingeforderten Aufgabe lustvoll begnügen, und sie tut dies auch meistenteils und allerorts, nur ich sollte das nicht. Für mich bleibt meine Wirkungsstätte (das Theater) nach wie vor eine Forschungseinrichtung, welche den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Realität zum Gegenstand hat und dabei die Existenzbehauptung der menschlichen Seele in den Mittelpunkt stellt. Übrigens schließen sich die Irritationen, die durch ungewohnte Wahrnehmungswinkel entstehen und die Unterhaltung dabei nicht gegenseitig aus. Ich für meinen Teil suche aus eben diesem Grunde das Theater auf. Immer auf der Suche nach Inspiration und vergnüglicher Infragestellung eingefahrener Denkweisen. Da ich in diesem schriftlichen Interview mein Gegenüber weder persönlich kenne, noch seinen Hintergrund einschätzen kann und nur die Qualität der Fragestellung zur Verfügung habe, vermeide ich es tunlichst, auf die Kohärenz des Kunstwerkes und sein Kollabieren in der Superposition zu sprechen zu kommen, womit ich es nun wenigstens hiermit getan habe. Das Kunstwerk selbst beschreibt immer den Zeitpunkt eines Systems von Zuständen, die sich nicht unter Beobachtung befinden. Das ändert sich durch die Anwesenheit des Zuschauers. Das meint, ob Oper oder nicht, dass verschiedene sich überlagernde Zustände aufgeladen werden durch die Beobachtungsenergie des Betrachters und sich eben dadurch erst erfüllt, was der Zuschauer erwartet oder nicht erwartet. Da ich nicht um Verständnis buhle, sondern lediglich meine Ansichten niederschreibe, sei mir dieser Ausflug hier erlaubt.

Das, was wir Kunstwerk nennen, mache nicht ich, es ist eine Wertung in den Augen des Betrachters. Sie kann manipuliert oder zugewiesen werden. Ich halte den Zuschauer für den Produzenten all dessen, was er inspiriert von dem, was er sieht und hört, in seinem Kopfe erschafft. Ich begreife mich als Auslöser dieser Produktion. Da es eine höhere Stufe darstellt als das Konsumieren, kann man getrost davon ausgehen, dass das eine durch das andere nicht zerstört wird. Also, keine Angst um jene unter den Zuschauern, die lediglich unterhalten werden wollen. Ärgerlich empfinde ich lediglich eine von mir unterstellte Empfindung, ich wäre so eine Art Kultursklave, der ihre Bedürfnisse zu befriedigen hat. Mir wäre lieber, ich könnte welche wecken.

Was nun die Produktionsmöglichkeiten des Zuschauers angeht, gestehe ich ihm die Autorenschaft für die Projektion in seinem Kopfe zu. Er selbst befindet darüber, ob sie gelungen ist, oder nicht. Das Bühnenwerk sollte diese Freiheit ermöglichen und dazu inspirieren. Erst damit würde ja der Zuschauer vom Konsumenten zum Produzenten werden. Ob er das als eine ihm angetragene Pflicht empfindet, oder ein Vergnügen, ist wohl eher subjektiv bestimmt und wird von jedem einzelnen anders empfunden. Natürlich ist es sehr bequem, das Vorgefertigte in einer meinen Erwartungshaltungen entsprechenden Form genießen zu können, aber seien wir doch mal ehrlich, das ist doch die Regel. Warum Furcht entwickeln gegenüber einer Minderheit, welche die Ausnahme bildet. Da wir aber teilweise mit Kritik, Unverständnis oder Neid auf die Freiheiten reagieren, die sich jemand anderes nimmt, bleibt gerade eine Kunst umstritten, die sich auf diese Weise äußert. Die Abweichung von der Gleichheit ist nun aber so unglücklich tendiert, wie sie auch Inbegriff aller Entwicklung und des selbstbewussten Strebens nach eigener Identität ist. Was sollte also der Cottbuser Zuschauer anderes befürchten, als die Überraschung, völlig unverletzt  aus der befürchteten Katastrophe hervorgegangen zu sein.

Opernnetz In der jüngeren Vergangenheit haben Sie sich intensiv (auch) mit Tanzproduktionen auseinandergesetzt. Und Sie haben für die Bühne immer wieder die Vereinigung aller medialen Formen gefordert. Nun inszenieren Sie am Staatstheater Cottbus Ihre erste Oper und greifen dabei auf ein zeitgenössisches Stück zurück. Andere Künstler, wie jüngst Horwitz in Erfurt, verlassen sich bei ihrer Erstinszenierung lieber auf Klassiker wie den Freischütz. Scheuen Sie die Komplexität eines solchen Stoffs, oder sehen Sie in der Minimal Music eines Philipp Glass mehr Freiheit, Ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen?

Fabian Beide Vermutungen treffen nicht zu. In diesem Fall ist die Antwort ganz einfach: Mir wurde nicht Der Freischütz, sondern Der Fall des Hauses Usher angeboten. Wie Sie sich sicher denken können, ist es auch nicht die Komplexität der Stoffe in der Oper, die mich abschrecken würde, sondern ihre Trivialität.

Die Fragen stellte Michael S. Zerban am 27.2.2012.

 


House of Lorca, 1997
(Foto: Andreas Stirl).


The dark side of time, 2000
(Foto: Andreas Stirl) .


Wendelgard, 2010
(Foto: Klaus Gigga).


PI morphosen, 2010
(Foto: Dieter Hartwig).


Es brennt, 2010
(Foto: Andreas König).