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„Die Existenz der vielen Opernhäuser in Deutschland
ist ein großer Wert“
Zu Beginn der kommenden Spielzeit, im Oktober, wird er in einem seiner Bühnenhypes, als Don Ramiro, in einer Aufführungsserie von La Cenerentola an der Lyric Opera of Chicago auftreten. Im Juni interpretierte er in fünf Vorstellungen die diffizile Titelrolle in der Erstaufführung von Daniel Schnyders Charlie Parker's Yardbird an der Philadelphia Opera. Zuvor, im Mai, begeisterte er das Publikum an der Pittsburgh Opera einmal mehr in seiner Paraderolle des Tonio in La fille du Régiment. Im März dieses Jahres beeindruckte er als Ein Sänger im Rosenkavalier von Richard Strauss bei den Osterfestspielen in Baden-Baden. Schon dieser kurze Auszug aus seinen jüngsten Terminkalender zeigt das bemerkenswerte Spektrum des US-Amerikaners Lawrence Brownlee. Der Buffo-Tenor aus Ohio, als Sänger wie als Darsteller eine brillante Erscheinung, hat seit seinem Bühnendebüt 2002 als Rossini-Graf Almaviva an der Virginia Opera einen international beachteten Aufstieg erreicht. Gerade ist bei Delos sein erstes Arienalbum mit Bravourstücken des „Schwans von Pesaro“ erschienen. Dabei ist der 42-jährige nicht unbedingt auf das Belcanto-Fach festgelegt, wie er im Interview verrät.
Opernnetz
Sie sind ein typischer Buffo-Tenor, vornehmlich im Belcanto unterwegs. Wird das auch in Zukunft Ihr alleiniges Metier sein?
Lawrence Brownlee
Nein, keineswegs. Ich bin auf der Suche nach anderen Sachen. Zum Beispiel Rollen in französischen Opern, die nicht Buffo sind, in bestimmten Mozart-Opern und auch in der Seria-Gattung von Rossini. Ich denke, meine Stimme ist denen sehr ähnlich, für die er komponiert hat: Giovanni David oder Andrea Nozzari oder Manuel Garcia, der Graf Almaviva in der Uraufführung des Barbiere gesungen hat. Seitdem ich mich entschieden habe, auch Neues zu erproben, habe ich Nadir in Die Perlenfischer gesungen. In meiner Planung steht La Favorite von Donizetti in der französischen Fassung. Auch die Werke Wagners interessieren mich, wenn wir etwa über die Figur des David in Die Meistersinger sprechen.
Opernnetz Sie treten seit Jahren regelmäßig an Opernhäusern hierzulande auf. Wie sehen Sie den Kulturstandort Deutschland, speziell die Entwicklung von Oper und Konzert?
Brownlee
Ich schätze ihn außerordentlich, konnte in Berlin, Hamburg, München, Baden-Baden auftreten. Ich beobachte, wie sehr sich gerade in Deutschland das Publikum mit dem Musiktheater identifiziert, dieser ganz speziellen Kunst. Natürlich gibt es diese Aufgeschlossenheit auch in den USA und einigen Ländern Asiens. Aber hier in Deutschland, im deutschsprachigen Raum, wo die Wurzeln dieser Kunst sind und die Quellen der Inspiration liegen, ist die Bindung doch sehr viel enger. Mich beeindruckt immer wieder, wie die Menschen aus ganz unterschiedlichen Altersgruppen in Deutschland in die großen Häuser in Berlin oder München strömen und für eine einzigartige Atmosphäre sorgen.
Opernnetz Das sind gewiss die Leuchttürme. Aber wenn man nach Kiel, Schwerin, Gera oder auf andere kleinere Häuser schaut und die kulturpolitische Debatte verfolgt, wird man die Anzeichen einer Krise der Musiktheater nicht ignorieren können. Sehen Sie eine Kraft, ein Potenzial, diesem Trend entgegenzuwirken?
Brownlee Wissen Sie, alle großen Opernsänger der USA in den vergangenen Jahrzehnten kamen zum Studium erst einmal nach Deutschland. Ich habe die Theater in Wiesbaden oder auch in Magdeburg erlebt. Es ist ein so großer Wert, dass all diese Häuser existieren. In der Stadt, aus der ich komme, gibt es kein Opernhaus. Natürlich sind das Fernsehen und die modernen Medien für viele Menschen wichtig, um Oper erleben und verfolgen zu können. Doch nur wir, die Künstler zusammen mit dem Orchester, können unmittelbar das Herz der Menschen erreichen und sie zum Weinen bringen. Das ist nur auf der Bühne möglich, und darin liegt auch das Potenzial für die Zukunft.
Ralf Siepmann, 10.8.2015
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