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BACKSTAGE

3 FRAGEN-3 ANTWORTEN


Ilona Schmiel

Ilona Schmiel, 1967 in Hannover geboren, studierte Schulmusik, Altphilologie und Kulturmanagement in Berlin und Oslo. Erste berufliche Stationen waren die Donaueschinger Musiktage und das Olympische Kulturfestival in Lillehammer. 1998 übernahm sie als jüngste Intendantin Deutschlands die Geschäftsführung und künstlerische Leitung des Bremer Konzerthauses „Die Glocke“, die sie bis 2002 innehatte. Von 2004 bis 2013 war sie Intendantin und Geschäftsführerin des Beethovenfestes Bonn. Seit Saisonbeginn 2014/15 ist sie Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft Zürich und für sämtliche Veranstaltungen und Tourneen des Tonhalle-Orchesters Zürich verantwortlich. Schmiel war 2005-2007 Jurymitglied der Bundeskulturstiftung. Sie ist seit 2007 Jurymitglied der Ernst von Siemens Musikstiftung, seit 2009 Kuratoriumsvorsitzende der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, seit 2010 Gastdozentin an der Musikhochschule München und der FU Berlin, seit 2012 Vorstandsmitglied des Vereins Beethoven-Haus Bonn. Seit 2014 wirkt sie darüber hinaus als Mitglied des Hochschulrates der Münchner Hochschule für Musik und Tanz sowie des Stiftungsrates des Concours Géza-Anda Zürich. 


 

Backstage-Archiv

Das Backstage-Archiv ist alphabetisch nach den Nachnamen der Gesprächspartner geordnet.

 

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„Die hergebrachte Distanz zum Künstler überwinden“

Neun Jahre erlebte die Klassikszene im Rheinland Ilona Schmiel als Intendantin des Beethovenfests Bonn. Sie engagierte sich mit Kompetenz, Kreativität und Leidenschaft für Bewahrung und Ausbau der Strahlkraft der „Marke“ Beethoven. Überdies, bis zu ihrem Abschied und Wechsel nach Zürich für ein adäquates Festspielhaus in der Beethoven-Stadt. Vergeblich, wie inzwischen bekannt ist. Mit dem Antritt der Intendanz der Tonhalle-Gesellschaft Zürich und des von dieser getragenen renommierten Orchesters, 1868 gegründet, verbinden Beobachter einen Neuanfang. Der soll aber keinen grundstürzenden Charakter haben. „Sie wurde geholt“, hieß es im September 2014 in der Zeitung Schweiz am Sonntag, „um einen Aufbruch ins 21. Jahrhundert zu gestalten, aber keinen Bruch.“ Die Kulturmanagerin habe in Bonn gezeigt, „dass sie eine großartige Vermittlerin ist“. Im Interview mit Opernnetz spricht sie über Innovationen der ersten Spielzeit und wagt eine vorläufige Bilanz.

Opernnetz Der traditionelle Klassikbetrieb – sei es im Konzert-, sei es im Opernhaus – ist mit mindestens zwei gravierenden Trends konfrontiert: der digitalen Transformation und der Veränderung der Rezeptionsgewohnheiten, insbesondere beim jüngeren Publikum. Mit Ihrer Berufung zur Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft Zürich sind Erwartungen verbunden, etwa nach zukunftsfähigen Antworten auf diesen Feldern. Wie bilanzieren Sie Ihre erste Zürcher Spielzeit?

Ilona Schmiel Genau diese Erwartungen sind mit meiner Berufung an mich gestellt worden. Im Hinblick auf Programmplanungen und Programmformate, die im Fokus meiner Arbeit stehen, kann ich nach dieser ersten Saison sehr Positives vermelden. Noch nie hat es bei uns so viel junges Publikum gegeben wie in dieser ersten Spielzeit meiner Intendanz. Ersehen können wir das an der Nachfrage nach den erstmals eingeführten rabattierten Eintrittskarten für 20 Schweizer Franken, was übrigens dem Kinopreis in der Schweiz entspricht. Dieser Kurs ist also richtig. Entscheidend sind aus meiner Sicht zwei Faktoren. Der eine ist die viel anspruchsvollere, aber auch neugierig machende Programmplanung mit vielen neuen und sehr interessanten Interpreten. Der zweite ist der mit 28 Jahren junge Chefdirigent Lionel Bringuier, der von Anfang an ein zusätzliches Publikum bei den Studenten erreichen konnte – nicht unbedingt die der kreativen Studienfächer, eher angehende Ingenieure, Mediziner, Juristen. Das Lamento von der Krise des Klassikbetriebs kann ich nicht bestätigen. Sicher ist: Wir als Institution und auch als Veranstalter mit eigenem Orchester müssen die Zugänge für ein kommendes Publikum neu gestalten. Wir dürfen uns nicht programmatisch anbiedern. So machen wir kein Crossover, arbeiten aber mit zusätzlichen Formaten, indem wir klassische in einem ersten Konzertteil und zeitgenössische Musik in einem zweiten bieten. Wir mischen diese Formate also nicht. Es geht um Formate wie tonhalleLATE – classic meets electronic. Nach einem klassischen Konzert mit dem Tonhalle-Orchester Zürich wird die Tonhalle zum Dancefloor mit live gespielter elektronischer Musik.

Opernnetz Sie haben, partiell schon in Bonn, mit Projektarbeit den Versuch unternommen, junge Erwachsene mit dem klassischen Konzertbetrieb vertraut zu machen. Ist das auch einer Ihrer Ansätze für Zürich? Und funktioniert er dort unter doch wohl deutlich anderen Rahmenbedingungen als in Bonn?

Schmiel Für die Gruppe ab zirka 25 Jahren haben wir ein spezielles Angebot entwickelt, TOZzukunft – Tonhalle-Orchester Zürich Zukunft. Es ist ein Club von jungen Menschen, die auf Grundlage unseres Saisonprogramms eigene Veranstaltungen organisieren. Dabei nutzen sie unsere Konzerte als Anlass, in eigener Regie Persönlichkeiten einzuladen, die in Konzerte einführen oder Vorträge halten. Danach genießen sie mit unseren Künstlern des Abends, speziell wenn es ihre Altersgruppe betrifft, einen eigenen Apéro. Oder sie gehen mit unseren Künstlern aus. Damit ist die hergebrachte Distanz zum Künstler überwunden und die Nähe zur Institution und zur Marke Tonhalle-Orchester Zürich geschaffen.

Opernnetz Annähernd die Hälfte des Budgets des Tonhalle-Orchesters Zürich speist sich aus privaten Quellen, also nicht aus öffentlicher Subvention. Was bedeutet dieses Spezifikum für Konzertmanagement und -planung, für den Dialog mit Publikum und Sponsoren? Sie wollen ja die Programme des Orchesters insbesondere für die Komponisten des 20. und des 21. Jahrhunderts öffnen. Widmann statt Weber – geht so ein Kalkül auf?

Schmiel Ja, weil es gerade mit Jörg Widmann aufgeht. Er ist als Klarinettist, Dirigent und Komponist unser nächster Creative Chair. Zwölf Werke von ihm oder von anderen Komponisten werden mit unseren Musikern aufgeführt. Außerdem gibt es lectures von ihm. Ich schätze die Chance, ihn verstärkt mit unseren Sponsoren und Förderern in Kontakt zu bringen. Widmann ist ein Enthusiast, wenn er über seine eigenen Werke, aber auch generell über Komposition spricht. Und er ist in der Lage, sehr speziell unsere Förderer für Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zu begeistern. Zum Dialog in Zürich? Ja, er ist intensiver als beim Festival-Publikum in Deutschland und muss es auch über die ganze Saison sein. Man muss sein Publikum sehr gut kennen, um es auch programmatisch in andere Richtungen mitzunehmen. Das ist mein erklärtes Ziel und budgettechnisch auch notwendig. Auf die konkrete inhaltliche Konzertplanung dagegen hat der Dialog nicht so viel Einfluss. Entscheidend ist für mich, von den Konzertprogrammen selbst überzeugt zu sein und sie dem ganzen Team durch fundierte Informationen zu vermitteln - also vom Marketing über die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bis zur eigenen Billett-Kasse, deren Mitarbeitern und Leitung.

Ralf Siepmann, 31.8.2015

 


Rund 100 Musiker aus etwa 20
Nationen versammelt das Tonhallen-
Orchester Zürich.


1895 erbaut, zählt die Tonhalle Zürich
mit rund 1.500 Plätzen und einer
ausgezeichneten Akustik zu den
weltbesten Konzertsälen.


Komponist Jörg Widmann arbeitet an
der Verjüngung des Programms in der
Tonhalle Zürich mit.


Nach dem klassischen Konzert geht es
bei tonhalleLATE – classic meets
electronic
anschließend für die jungen
Leute auf den Dancefloor.